Dead Poets Society: Whitney Biennial 2014

Seit 82 Jahren zeigt das Whitney Museum in New York jetzt regelmäßig seine Überblicksausstellungen zum jeweiligen Stand der Gegenwartskunst in den USA. Es hat hier Shows gegeben, die Superstars wie Pollock oder Koons hervorgebracht haben, und es gab solche, die als besonders politisch legendär wurden. Die Whitney Biennale von 2014 wird in erster Linie als die letzte in Erinnerung bleiben, die in Marcel Breuers Museumsbau auf der Madison Avenue stattgefunden hat. Und als die mit den meisten Kuratoren.

Das Whitney zieht nach Downtown und wird schon nächstes Jahr einen der schätzungsweise hunderttausend Museumsneubauten von Renzo Piano beziehen, die es auf dieser Welt bereits gibt. Über die Breuer’sche Schmuckschatulle aus Sichtbeton in der Upper East Side darf sich dann das Metropolitan Museum freuen. Nachdem Whitney Biennalen lange in ihren Katalogen noch nicht einmal den Namen derjenigen nannten, die sie zusammengestellt hatten, haben sie es bei der letzten in diesem Gebäude hier entschlossen in die andere Richtung hin übertrieben. Gleich drei Leute wurden beauftragt: Stuart Comer, inzwischen am Museum of Modern Art für Medien und Performance zuständig, Anthony Elms vom Institute of Contemporary Art in Philadelphia und Michelle Grabner, eine Malerei-Professorin aus Chicago. Diese drei haben aber dann wiederum nicht zusammen eine Ausstellung kuratiert, sondern jeder für sich auf seiner Etage eine eigene – und dabei wiederum zu einem erklecklichen Teil Künstler eingeladen, die ihrerseits als Unterkuratoren in Szene treten. Ein Sättigungsgrad, bei dem jeder Künstler sein eigener Kurator ist, wird damit absehbar; das wäre den libertären Traditionen Amerikas auch nicht unangemessen. Ansonsten ist das mit der Frage nach dem Stand der Dinge der in der amerikanischen Kunst nämlich hier so eine Sache. Einerseits weisen die Kuratoren das Ansinnen, so einen Überblick heute überhaupt noch liefern zu können, von sich. Andererseits macht sich zumindest Stuart Comer trotzdem so seine Gedanken, was das Amerikanische in der Kunst heute sein könnte. Er findet es am ehesten in der Ambivalenz und da, wo Leute das Metier wechseln, wo sich Linguistik in Skulptur oder Malerei in Musik verwandelt, Übersetzungsprozesse und Wechsel der Aggregatszustände eine Rolle spielen. Seine Lieblingskünstlerin in diesem Sinne ist ganz offensichtlich Etel Adnan, die 89 Jahre alte Dichterin aus dem Libanon, die irgendwann nach Kalifornien zog und in ihrem Leben zwischen dem Arabischen, dem Französischen und dem Englischen so häufig hin und her migriert ist wie zwischen dem Schreiben und der abstrakten Malerei.  Wenn es in einer Ausstellung, die sich aus der Parallelschaltung dreier unabhängig von einander ihre Idiosynkrasien bewirtschaftenden Kuratoren ergibt, überhaupt Sinn hat, nach ein paar durchgängigen Themen zu schauen, dann klingen hier schon mal ein paar an: Abstrakte Malerei von Frauen ist zum Beispiel definitiv ein Thema dieser Biennale, von Rebecca Morris bis Louise Fishman. Das andere ist das beträchtliche Alter etlicher Teilnehmer; erstaunlich hoch ist auch die Zahl der Künstler, die bereits verstorben sind, zum Teil bereits vor Jahrzehnten. Richard Hawkins und Catherine Opie kuratieren da zum Beispiel einen Raum mit den Gemälden von Tony Greene, einem ihrer Kommilitonen am California Institute of Arts, der 1990 an Aids verstorben war. Auch Bilder von David Wojnarowicz, 1954-1992, spielen hier wieder eine Rolle. Und mit dem Stichwort Aids tauchen auch die ganzen Diskurse um Identität und Sex aus den Neunzigern wieder auf und finden ihr Echo in Arbeiten von heute. Unbedingt zeitgenössisch sind der starke Hang zur Nostalgie, und natürlich das trauernde Abschiednehmen von Breuers Bau (Zoe Leonard hat einen Raum zur Camera obscura gemacht.) Und Handwerklich gemachtes ist bei dieser Biennale ein mindestens so emphatisch vorgetragenes Thema wie in einem deutschen Manufactum-Laden: Es gibt viel Gestricktes, Geflochtenes, Getöpftertes. Die „Criticality“ und sexuelle Ambiguität von Neunzigerjahrekunst, aber diesmal mit mehr dekorativer Malerei; ein Hang zur poetischer Melancholie, aber auch schön Handfestes: Diese Show hat alles, was ein gut sortierter Kunsthandel heute braucht. Die Multiplikation der Kuratoren hat ein paradoxes, aber nicht ganz unlogisches Ergebnis: Diese Whitney Biennale sieht nicht so viel anders aus als die gleichzeitig eröffnete Armory Show, New Yorks immer als ein bisschen rumpelig verschrieene Kunstmesse.

Eine Variante dieses Textes erschien Anfang März 2014 in der Süddeutschen Zeitung