Fragen an und Antworten von: James Turrell

Der Ausstellungsmarathon zu James Turrells siebzigsten Geburtstag hat begonnen. Am Los Angeles County Museum, also da, wo einst Turrells Karriere begann, wurde die große Retrospektive mit Werken aus über vierzig Jahren eröffnet. Einen Tag später wurde ein neuer Standort der Galerie Keyne Griffin Corcoran eingeweiht: mit einem von Turrells „Sky Spaces“, in dem die Gäste den Himmel über Los Angeles, je nach Illuminierung des Rahmens, in strahlenden Grün-, Gelb-, Violett- und Rottönen betrachten durften. Und mit einer Ausstellung über Roden Crater, den Vulkanberg in Arizona, den Turrell seit vierzig Jahren zu einer monumentalen Pyramide seiner Lichtkunst aushölt. Weitere in New York und Houston werden noch  folgen.

Q

Herzlichen Glückwunsch zum Siebzigsten. Fliegen Sie immer noch jeden Tag eines Ihrer Flugzeuge?

A.

Jetzt hier wegen der Eröffnungen nun leider gerade mal nicht. Sonst aber schon.

 

Q

Wieviele haben Sie denn?

 

A

Viele. Ich habe ja auch eine Firma, die alte Flugzeuge restauriert. Damit hatte ich auch mein Geld verdient, als ich von der Kunst noch nicht leben konnte. Es ist nicht einfach, jemandem ein Stück blauen Himmel und frische Luft zu verkaufen. Ich habe also immer Flugzeuge, die ich dann allerdings nach der Restaurierung auch weiterverkaufe.

 

Q

Sie waren Pilot, lange bevor sie Künstler wurden, und ihre Kunst ist eng mit der den Erfahrungen des Fliegens verbunden: Schmerzt es sie da zu sehen, dass in Amerika heute die Flughäfen und die Flugzeuge so auffällig weniger gut in Schuss sind als in Asien und Europa? Hat das Land seinen Glauben an die Majestät des Fliegens verloren?

 

A

Nein. Das glaube ich nicht. Aber wir sind immer mehr ein Dritteweltland, als man so denkt. Unsere Zeit war um 1969. Die 747 war im Dienst. Wir flogen sogar zum Mond.

Damals musste sich Europa immer noch vom Weltkrieg erholen. Heute hat München einen besseren Flughafen als New York. Aber diese Infrastrukturprobleme sind der Preis für die Kriege, die wir geführt haben und noch bezahlen müssen. Amerika ist nicht mehr in der Lage, die Infrastruktur instand zu halten.

 

Q

Westcoast-Künstler scheinen grundsätzlich mehr vom Fliegen, auch vom Space Age fasziniert zu sein als die an der Ostküste. Setzt sich da die Eroberung der Weiten des Westens sozusagen in der Luft und im Weltraum fort?

 

A

Ja, wenn Leute aus Europa nach New York kommen, dann denken die immer, das sei Amerika. Aber man muss sehen: Manhattan verhält sich zum Rest von Amerika wie Hongkong zu China. Es ist hier ganz einfach auch so, dass es weniger öffentlichen Verkehr gibt als im Osten, wo auch noch alles näher ist. Viele Leute hatten ihre eigenen Flugzeuge hier. Das ist hier notwendiger als, sagen wir, im kleinräumigen Connecticut.

 

Q.

Auch das zentrale Thema Ihrer Kunst, das Licht, scheint hier im Westen in jeder Beziehung anders zu sein. In Europa, selbst noch an der Ostküste, schleppt es diese ganze Tradition von Mystik und Symbolik mit sich herum, von Plotin bis zu Rudolf Steiner. Dauernd hatte es etwas zu repräsentieren: Christus, göttliche Inspiration, Wahrheit, Aufklärung, sogar den Sozialismus. Bei Ihnen wirkt das Licht wie davon befreit.

 

A.

All das ist hier draußen im Westen schon nicht mehr so stark wie im Osten, außerdem sind wir hier fast schon wieder näher am Buddhismus und anderen Einflüssen aus Asien. Ich mache nun eine Kunst, die auch gar nicht darauf aus ist, das weiter zu treiben. Der Unterschied ist auch: Los Angeles ist eine Stadt des Entertainment, New York ist die Stadt der Kultur.

 

Q

In der idealistischen Philosophie Europas ist das Licht der Gegenspieler zur Materie. Ihre Kunst betont dagegen: Licht IST Materie. Sie behandeln es als Material.

 

A

Das ist nun einmal die Realität. Photon hat Masse. Es ist eine Sache. Wir essen Licht, als Vitamin D. Durch die Haut. Es ist ein Nahrungsmittel. Wenn es daran mangelt, verursacht das Winterdepressionen, die man aus nördlichen Ländern kennt. In Europa geben sie deshalb Kindern Vitamin D in die Milch. Sie vergessen nur immer, es auch ins Bier und den Whiskey zu tun, für die Erwachsenen.

 

Q

Ist Licht, seinen tatsächlichen Eigenschaften nach, überhaupt so ein geeignetes Symbol für die Wahrheit? Ihre „Ganzfeld“-Installationen zeigen ja: Eingetaucht in nichts als Licht, geht die Orientierung verloren. Ihre „Dark Spaces“ zeigen: Dunkelheit schärft die Sinne. Und ihre „Sky Spaces“ erzählen auch davon, dass die Sonne die Sterne verdunkelt…

 

A

Generell wurde Licht immer vor allem dazu benutzt, andere Dinge zu enthüllen. Bei mir geht es darum, dass sich das Licht selbst offenlegt, als Licht. Deshalb ist es auch immer so schwer, über meine Ausstellungen zu schreiben. Das Licht symbolisiert nichts anderes. Es ist, was es ist.

 

Q

Sie haben die Darstellung von Licht durch Farbe ersetzt durch die Darstellung von Licht durch Licht selbst. Sie haben sogar Symbolismus des Lichts ersetzt durch das Licht selbst. Ist das ein spezifisch amerikanischer Zugang: die pragmatische Abkürzung.

 

A.

Bestimmt. Wir hatten ja auch eine Menge Kunst über Licht, mit Rothko und Ad Reinhard. Aber der direkte Weg zur Sache an sich ist sicherlich etwas sehr amerikanisches. Da ist eine gewisser Zug zur Einfachheit dabei. Trotzdem ist die amerikanische Art, Dinge zu tun, gerade technische, noch am ehesten mit der deutschen verwandt. Ich habe noch die deutschen Techniker kennengelernt, die als Kriegsgefangene bei uns in der Wüste die Raketen bauten. Die durften da auch nicht weg. Deshalb bauten die sich Segelflugzeuge, um sich beim Gleiten wenigstens frei zu fühlen. Im Bauen von Segelflugzeugen waren die Deutschen ohnehin gut, das war eine Folge des Vertrags von Versailles, als sie erstmal keine Motorenflugzeuge bauen durften. Das war die einfachste Lösung, die effizienteste Ausnutzung der Aerodynamik, und sie hatten die besten Teile dafür entwickelt. Die spielten dann wiederum bei uns in der Raumfahrtindustrie in Pasadena eine Rolle.

Es waren die vereinfachenden Erfindungen, die uns letztlich auf den Mond gebracht haben. Aber das war ein teures Unterfangen. Leider können wir uns, weil wir überall den Weltpolizisten geben, ein Space Age nicht mehr leisten.

 

Q

Da Sie immer wieder auf die ökonomischen Grundlagen zurückkommen: Wie haben Sie eigentlich ihre frühe Karriere finanziert, von den Flugzeugen war schon die Rede, aber man sagt, Sie hätten auch mit den Caprichos von Goya Geld verdient.

 

A.

Ja, ich hatte als junger Mann mal ein Segelboot gebaut und verkauft, das gibt es heute noch, und für das Geld hatte ich mir die „Caprichos“ gekauft, die elf Jahre später schon wesentlich mehr wert waren. Mr. Goya war so freundlich, meine Karriere sehr zu unterstützen.

 

Q.

Wie ist ihr pharaonisches Projekt in Roden Crater finanziert?

 

A.

Es läuft. Wir hatten durch die Finanzkrise 2008 natürlich eine harte Zeit. Es hängt sehr viel von Spenden ab. Und ich handele mit  Kunst. Vor allem geht es jetzt darum das Land drumherum zu kaufen, um die Gegend zu schützen.

 

Q

Um Roden Crater zu kaufen, mussten Sie der Bank erzählen, dass Sie den Kredit für eine Rinderfarm brauchen, korrekt?

 

A.

Ja. Man bekommt keinen Kredit zum Kauf von Vulkanen in der Wüste. Und wir haben ja da jetzt auch tatsächlich über 3000 Kühe stehen.

 

Q

Ich weiß, dass Sie auf die Frage nach der Eröffnung von Roden Crater für das Publikum immer antworten, geplant sei 2000 und daran hielten sie auch fest. Haben Sie nicht die Sorge, dass es in Wirklichkeit eher so endet wie bei Gaudí mit der Sagrada Familia: als Aufgabe, die kommende Generationen vollenden müssen?

 

A.

Ich will jedenfalls damit so weit vorankommen, wie möglich. Ich will es schließlich selber noch sehen.

 

Q.

Wo wir jetzt vom Zeitlichen sprechen: Ihre Kunst ist nichts für eilige Betrachter. Wieviel Zeit sollte man mindestens investieren?

 

A.

Das hängt natürlich jeweils von der Arbeit ab. Wir haben hier Arbeiten aus 46 Jahren in der Retrospektive. In einigen Lichträumen geht es nach ungefähr acht Minuten eigentlich erst los. Einige der frühen Arbeiten sind auch schneller wahrzunehmen. Aber wir haben generell die Fähigkeit zur Versenkung verloren. Früher war die Fähigkeit, Bilder zu lesen und sich komplett in sie zu vertiefen, größer. Es fehlt heute ein bisschen an der Bereitschaft, sich der Kunst zu überantworten. Wir machen das anderswo zwar dauernd, beim Arzt oder beim Zahnarzt, selbst beim Bücherlesen. Aber die Gegenwartskunst hat in dieser Hinsicht ihr Publikum verloren. Ich habe keine Entschuldigungen für die Notwendigkeit, sich der Kunst auch mal komplett zu unterwerfen. Du musst dir einfach ein bisschen Zeit nehmen – und dann kriegst du in den Arbeiten auch etwas für deine Zeit.

 

Q

Der letzte Ort, an dem man sich Ihre Arbeiten vorstellen kann, ist die Hektik einer Kunstmesse.

 

A.

Kunstmessen sind ohnehin der Tod der Kunst. Das zeigt aber die Macht der Sammler. Früher waren Künstler mal die Hauptpersonen, dann waren Museen wichtig, dann die Galeristen, jetzt die Sammler, die über ihre Sitze in den Boards nun auch in den Museen

mitbestimmen.

 

Q.

Der denkbar entfernteste Ort vom Rummel einer Kunstmesse wäre die kleine japanische Insel Naoshima, wo Sie, neben Walter de Maria, in einem wundervollen Bau von Tadao Ando große Arbeiten installiert haben. Sonst strebt Kunst immer in die Zentren, Ihre braucht eher abgeschiedene, meditative Gegenden?

 

A.

Das war wirklich eine ideale Situation. Ich habe auch Colomé in Argentinien etwas gemacht, das ist noch abgelegener. Es gibt Projekte in Tasmanien. An einem Fjord in Norwegen. Es gibt weltweit 82 von diesen Sky Spaces. Meine Antwort darauf ist immer, dass ich am Anfang dachte, meine Kunst führt nirgendwo hin, und wenn man jetzt in der Mitte von Nirgendwo steht, dann ist dort garantiert eine Arbeit von mir in der Nähe.

 

(Ein Ausschnitt aus diesem Interview erschien zuerst am 8.6.2013 in der Süddeutschen Zeitung)