Inauguration

Gibt es etwas Gemütlicheres als den Anblick eines Menschen, der Qualm aus einem Stumpen nuckelt?

Es ist nur so, dass Matt Sisson seine Zigarre in Sichtweite des Capitols in Washington raucht, während Donald Trump dort den Amtseid ablegt. Und Gemütlichkeit ist genau nicht das, was die amerikanische Hauptstadt rund um dieses Ereignis auszeichnet. Vielmehr: kleine, mittlere, große und immer absolut fundamentale Konfrontationen auf allen Ebenen und engstem Raum. Zwei Tage bevor Sisson seine Zigarre ansteckte, hatten ein paar homosexuelle Aktivisten Lautsprecher vor das Haus von Mike Pence, Trumps christlich-fundamentalistischem Vize, gekarrt, Musik von Rihanna aufgedreht und dazu getanzt. Barack Obama hatte seinem Stab im Weißen Haus zum Abschied ein Privatkonzert von Bruce Springsteen geschenkt, während die Bruce Springsteen-Coverband, die bei Trumps Amtseinführung spielen sollte, diesen Auftritt in letzter Minute wieder abgesagen musste, aus Angst vor dem Zorn des Originals. Am Tag bevor Matt Sisson sich zum Rauchen an die Mall von Washington stellte, waren dann die Leute in die Stadt gekommen, die Trump zujubeln wollten und hatten in der Metro und vor den Hotelrezeptionen neben denen stehen müssen, die das Gegenteil vorhatten. Beide Parteien betrachteten die jeweils andere ganz klar als Freakshow. Man hatte von einander gehört, aber so richtig leibhaftig gesehen hatte man sich meistens noch nicht, denn die einen wohnen eher in Kansas und die anderen eher in New York. Viele Trump-Fans zückten amüsiert die Kameras, als am Abend die ersten Demonstrationen durch das Zentrum rollten. Rassismus und der Ku Klux Klan waren ein zentrales Thema der Sprechchöre. „Heulsusen!“ rief vor dem Ronald Reagan Building ein sehr junger Asian-American mit Donald-Trump-Mütze. In dem Gebäude sollte wenig der später der „Deplorables’ Ball“ stattfinden. „Basket of Deplorables“ hatte Hillary Clinton die Anhänger ihres Konkurrenten im Wahlkampf ja mal genannt, einen Korb voller Bedauernswerter, wie auch immer sie zu diesem Bild gekommen sein mag. Vielleicht spielte „Basket case“ eine Rolle, die amerikanische Redewendung für „hoffnungsloser Fall.“ Jedenfalls war da bei diesem Ball eine Papp-Atrappe von einem Korb aufgebaut, unter dem Henkel sollte man durchgucken: Fotomotiv. Die Laune war also von grimmiger Selbstironie bei diesem Ball, der als zentrale Feierstunde der Rechtsaußen in Amerika galt. Und wie feiern die daher den Präsidenten, der das Land mit einer Mauer vor Lateinamerikanern schützen will? Natürlich besonders lateinamerikanisch. Es gab Tacos, Ceviche und ein Orquestra, das die Stücke vom Buena Vista Social Club draufhatte, später spielte eine Countryrockband von Exilkubanern, und es wurde getanzt, so gut das eben geht, mit Cowboystiefeln zum Smoking. Aber war das wirklich das Tränengas wert, das währenddessen draußen verschossen wurde? Bei diesem bedauernswerten Ball waren, wenn man die eingeschlichenen Journalisten abzieht, vielleicht fünfzig Gäste. Das sind rund hundertmal weniger als zeitgleich nur ein paar Meter weiter im African American Museum beim „Peace Ball“ ihren Abschied von Obama feierten, wo Solange sang und wo Senator Corey Booker, der neue Hoffnungsträger der Demokraten, zum „Widerstand“ rief.

Nur wie soll der konkret aussehen?

Beim Protest gegen den Deplorables’ Ball hatte sich ein Demonstrant in Flammen gesetzt.

So etwa?

Mit der Zigarre von Matt Sisson hat das alles insofern zu tun, als auch am Morgen der Vereidigung der Protest noch seine Form sucht. Wo später die Parade entlangführen soll, schreit eine junge Mexikanerin immer wieder „Illegale…“ in ein Megafon, und jedes Mal antwortet ihr ein Trumpianer, der kein Megafon braucht, weil er genug Bauch hat, feixend mit: „Kriminelle“. Die Trump-Gegner sind sehr erregt, die Trump-Fans sind herablassend heiter. Viele recken die Daumen und rufen „Good job!“, so wie amerikanische Eltern das tun, wenn kleinen Kindern auf dem Töpfchen was gelungen ist.

Hin und wieder rufen sie das auch Matt Sisson zu: „Yeah, good job!“. Der nimmt dann allerdings kurz die Zigarre aus dem Mund und antwortet höflich „Thank you!“ Dann kommt die Zigarre zurück, denn die Hände werden für das Schild gebraucht, und auf dem Schild steht, in sachlichen, dicken Großbuchstaben die Mitteilung: „Trump ist ein Faschist.“

Ganz alleine steht der Mann da, nur er, Anzug, Trenchcoat, Schild, und zwar exakt da, wo sich die martialischsten Trump-Anhänger jetzt sammeln, die Motorrad-Rockertruppe „Bikers for Trump“, die im Vorfeld angekündigt hatte, ihren Mann mit einer „Mauer aus Fleisch“ vor Belästigungen zu beschützen.

Insofern keine, sagen wir mal: Furcht, Mr. Sisson?

„Ich habe doch meine Zigarre.“ Feines Lächeln. „Die ist recht heiß. Damit halt ich mir schon die Leute vom Leib.“

Außerdem hat er Rugby gespielt. Und er war Soldat. Captain Matthew Sisson, bitte. U.S. Coast Guard. Hubschrauber-Pilot. Der Großvater war in beiden Weltkriegen, der Vater in Korea. So wie Trump das sieht, müsste er mit ihm auf einer Wellenlänge liegen. Tut er aber nicht. „Die, die mich deswegen hier anbrüllen“, sagt Matt Sisson noch zum Thema persönliches Sicherheitsgefühl beim Protestieren, „die sind grundsätzlich ganz furchtbar übergewichtig.“

Die Motorrad-Trumpianer sind in der Tat eindrückliche Erscheinungen. Ein paar Meter weiter kommt es nachher zu einem Brüll-Wettkampf zwischen den beleibten Bartträgern und einer Handvoll hageren Gymnasiasten, denen die Adamsäpfel auf und nieder hüpfen bei dem Versuch, halbwegs Komplexes über Globalisierung und Arbeitsmärkte zu verhandeln. Aber die jeweiligen Logiken und Wahrheiten sind ganz offensichtlich und beim besten Willen nicht kompatibel. Sie könnten sich auch in verschiedenen Sprachen anschreien. Ein Mann mit der Aufschrift „Penetrators Detroit“ ruft, der Unterschied zwischen Ihnen sei schon mal der, dass sie, die Biker, am Montag wieder zu Arbeit gingen. Darauf Gelächter als hätten die Männer Rohrreiniger getrunken. Dann Sprechchöre: „Get a job! Get a job!“. Und als die Kids entnervt lächelnd abdrehen: „Schalalala – Goodbye!“, wie im Stadion. Die Laune im Lager Trump ist zum Schenkelpatschen prachtvoll. Das Wahlergebnis war ein Protest. Und jeder Protest gegen diesen Protest ist immer nur eine Bestätigung: Da draußen in der Stadt werden jetzt Scheiben eingeschmissen von Vermummten und Autos angezündet? Deswegen ja Trump, den Law-and-Order-Mann.

Die Biker haben sogar eine kleine Bühne für ein Kulturprogramm aufgebaut, eine Band spielt Bluegrass, dann wird denen gedankt, die den Kern der Szene bilden: Armee-Veteranen, Waffensammler und – vergesst die Hells Angels – strengen Christen. Tatsächlich sitzt nicht weit entfernt ein Mann auf einem Poller, den die Welt als Coach Dave kennt. Dave Daubenmire. Ehemaliger Football-Trainer. Organisator von „spirituellen Bootcamps“, sowie Freund „maskuliner Männer und femininer Frauen“, wie es auf seiner Website heißt. Ein Mann, der noch letzten November bekannt gab, Hillary Clinton würde nach verfaultem Fleisch riechen, weil sie von einem Dämon besessen sei. Gnädig nickt er. Foto könne man machen. „Aber auch von hinten!“ Vorne auf seinem T-Shirt steht nämlich der Merksatz „Die Wahrheit klingt wie Hass“, und hinten steht, was alles zu dieser Wahrheit gehört: dass Abtreibung Mord sei und Homosexualität Sünde und die Evolution Einbildung und so weiter. Es wird in dieser Szene von vielen noch sehr unbekümmert die Konföderiertenflagge auf die Jacke genäht, und wenn es Straßenverkehrsordnung hergäbe, würden einige womöglich auch mit der Ku Klux Klan-Kapuze auf die Harley-Davidson steigen. Wenn Donald Trump Präsident wird, freut sich natürlich der rechte Rand. Es freuen sich allerdings auch Männer, die viel eher das sind, was man in Europa Liberale nennen würde: Mittelständler vom Team „Steuern runter“. Shad Hall aus Maine, Produzent von Küchenarbeitsplatten, hat sich für den Tag extra als amerikanische Fahne verkleidet, sein Freund Rob Stone, Immobilienkaufmann aus Nashville, geht ganz in Republikaner-Rot und hat „Ivanka 2020“ auf ein Schildchen geschrieben, so dass die beiden problemlos auch als lustige Trump-Gegner durchgehen könnten. Aber sie meinen zumindest den Teil mit den Steuern wirklich ernst. Sie würden sich erschießen, wenn sie soviel zahlen müssten wie in Europa. Und sie kennen Europa. Stone hat Familie in Belgien. Und Hall kann auf deutsch „Was ist los?“ sagen. Und „Ein Bier bitte!“.

Bei der Bandbreite von radikalen Bibel-Bikern über Wirtschaftsliberale bis zu enttäuschten Obamawählern: Ist da „Faschismus“ wirklich das richtige Wort?

Matt Sisson schickt ein paar Rauchschwaden in den regnerischen Himmel und erzählt, dass sein Großvater bei der Entnazifierung in Deutschland mitgearbeitet hat. Stanley H. Sisson war für den amerikanischen Militärgouverneur für Wirtschafts- und Finanzfragen in Hessen zuständig. Der Enkel dieses Mannes sagt nun, während ein paar hundert Meter weiter auf gleich zwei Bibeln seinen Eid schwört: „Minderheiten werden raussortiert, aggressiver Nationalismus…So hat es in Deutschland ja auch mal angefangen, nicht wahr?“

Und so hält er eben diesem historischen Tag stumm und mahnend sein Plakat entgegen, und keiner, der es liest, soll sagen, niemand hätte ihn informiert. Drei Zigarren hat er noch einstecken. Er wird also noch ein Weilchen stehen können.

Andere suchen die Konfrontation direkter. In der Schlange vor der Taschenkontrolle, durch die muss, ganz nah an die Parade ran will, ruft Mann im Sozialkundelehrer-Pullover fröhlich in sein Telefon, es gehe ihm blendend, er sei umgeben von „Trumpis“, und er gehe jetzt da rein, um Trump an der Strecke sein Plakat zu zeigen, damit der mal wisse, was für ein entsetzlicher Loser er sei. Auf dem Plakat steht, dass Hillary Clinton fast drei Millionen Stimmen mehr hatte. Nützt im Wahlssystem der USA nur nichts. Die Trumpis um ihn rum lächeln. „Ihr habt verloren!“ „Nein, ihr!“ „Das ist Demokratie, akzeptiert es halt!“ „Die Demokratie ist kaputt jetzt!“.

Als die Sonne untergeht an dem Tag, an dem Donald Trump zum Präsidenten wurde, gehen beide Seiten immer öfter auch mit den Fäusten aufeinander los. Es wird ein Abend, der in vielen Straßen von Washington nach Tränengas und Pfefferspray riecht.

Donald Trump hat zu dem Zeitpunkt aber offensichtlich ganz andere Sorgen: Auf Twitter bedankt er sich bei Fox News und anderen „für die grossartigen Besprechungen seiner Antrittsrede.“ Dann geht er gegen 9 kurz auf den Liberty Ball. Das ist der Ball, wo ein neuer Präsident wirklich zwingend auftauchen muss. Und tanzen. Trump bringt es, sagen wir, hinter sich. Und hinter seine tapfer lächelnde Frau Melania. Dann gehen sie wieder, und daraufhin leert sich auch relativ zügig der Saal.

Die in ihrer neuen Rolle nicht besonders glücklich wirkende Ehefrau des Präsidenten beschäftigt offensichtlich viele. „Free Melania!“ steht am nächsten Morgen gleich bei mehreren Leuten auf den Plakaten, die damit auf dem Weg zur National Mall sind. Der Samstag nach der Vereidigung, der erste volle Tag der Präsidentschaft Trump ist zugleich der Tag, an dem zum „Women’s March“ auf Washington aufgerufen worden war. Der Aufruf stammt schon aus dem Herbst, als der Mitschnitt des vulgären Privatgesprächs zwischen Donald Trump und dem ehemaligen Moderator Billy Bush geleakt wurde. Wer es verdrängt haben sollte: Es ging um die Prahlerei, seine Prominenz erlaubten es ihm, auch verheirateten Frauen jederzeit an die, wie Trump sich ausdrückte, „Pussy“ zu langen.

Eine junge Frau, die aus New York angereist ist, sagt, sie habe sich seit der Wahl im November nur an der Aussicht auf diesen Marsch gewärmt. Und jetzt, wo es soweit ist, fragt sie sich, wie viel das überhaupt noch bringen kann, einen mehr oder weniger lustigen Spruch über zurückbeißende Pussies auf ein Plakat zu malen. Es wird tatsächlich der Tag der mehr oder weniger lustigen Plakate, auf denen etwas über zurückbeißende Pussies steht. Es wird ein Tag, an dem die Leute sich daran aufbauen, die Plakate der jeweils anderen zu fotografieren, und manche sind wirklich sehr erheiternd. Aber eins sagt auch „Ich bin zu besorgt, um lustig zu sein.“ Die Frau aus New York geht dann ohne Plakat. Sie kommt in den Genuss von Ansprachen von Madonna und Michael Moore, von Gloria Steinem und America Ferrara, und überlegt, was davon zu halten sei, eine Tea Party von links zu gründen. Vor allem ist sie aber da. Und das heißt: Da, wo gestern noch die Trump-Anhänger mit ihren roten Kappen standen. Dort ist es jetzt alles voll von Trump-Gegnern mit rosa Häkelmützen, sogenannten Pussy-Mützen. Die Straßen von Washington haben die Liberalen und Linken buchstäblich zurückerobert. Und an Marschieren ist bei diesem Marsch am Ende gar nicht mehr zu denken, weil überall, wo es hingehen könnte, auch schon Menschen sind. Wieviele genau, ist noch nicht bekannt. Aber irgendwann am Abend kursiert die Zahl von mindestens drei Mal mehr Leuten als Trump bei der Inauguration sehen wollten. Die New York Times zitierte „Crowd Scientists“, die zu diesem Schätzergebnis gekommen waren. Wie grotesk wichtig so etwas auf einmal werden kann, zeigt sich, als Trump am Nachmittag nach Langley herausfährt zum Antrittsbesuch bei der CIA. Der Termin gilt als Canossa-Gang, denn Trump hatte die Geheimdienste jetzt wochenlang aufs Korn genommen, ihnen die Hinweise auf die Wahlmanipulationen durch die Russen nicht abnehmen wollen, und sie zwischendurch auch mal bezichtigt, ihm gegenüber Methoden „wie in Nazi-Deutschland“ anzuwenden. Mit ihren Dossiers zur Sicherheitslage wollte er bitte lieber nicht behelligt werden. Verfahrener kann eine Ausgangslage eigentlich gar nicht sein. Was dann daraus wird, ist aber selbst für Trumps Verhältnisse ein außergewöhnlich bizarrer Auftritt. Er bewundert die Zahl der im Einsatz umgekommenen Agenten, so als sei das eine beglückwünschenswerte Leistung. Er sagt, er stehe so dermaßen hinter dem Dienst, dass die Leute sich noch wünschen würden, er stünde weniger dahinter. Er sagt, er fühle sich wie 39. Er sagt, er wünschte, die USA hätten das irakische Öl einfach behalten. Dann geht es plötzlich darum, wie oft er beim Time Magazine auf dem Titel war und in dieser wild mäandernden Weise kommt Trump vor den immer giggeliger werdenden CIA-Leuten relativ umstandslos auf das Thema, das ihn ganz offensichtlich am allermeisten beschäftigt an seinem ersten Tag im Amt: Ein offenbar unbezwingbarer Groll gegenüber der Presse. In denkbar scharfen Worten wurden die Medien erst beschuldigt, einen Riss zwischen ihm und dem CIA herbeigeschrieben zu haben. Der offenbar noch schwererwiegende Vorwurf war aber: Sie hätten seine Besucherzahlen kleingeredet.

Der Hintergrund ist, dass die New York Times ein Foto von den Besuchern auf der National Mall bei seiner Amtseinführung einem Foto entgegenstellte, das die Situation bei Obama 2009 zeigte, als allgemeinen Schätzungen zu Folge 1,8 Millionen Leute kamen. Die Bilder vom Freitag zeigten, dass es deutlich, wirklich sehr deutlich leerer war. Trump ist vor dem CIA sichtlich außer sich deswegen. Er beharrt auf 1,5 Millionen Zuschauern vor Ort und schickt direkt danach sogar noch Press Secretary Sean Spicer in den Press Room, um die Medien zu geißeln, sie hätten den Enthusiasmus seiner Anhängerschaft kleinreden wollen.

Es ist wirr, und es ist beängstigend. Aber alle, die sich fragen, wo wirksamer Protest ansetzen muss, wissen es jetzt immerhin. Sie müssen vor allem mehr sein, viele.

(c) PETER RICHTER

Eine Version dieses Textes erschien zuerst am 23.1.2017 auf der Seite Drei der Süddeutschen Zeitung.