Interview mit Tom Wolfe

Der Fahrstuhl hält fast ganz oben, pling: und dann steht da tatsächlich Tom Wolfe und trägt… na was wohl? Auch mit 85 kleidet sich der Mann unbeirrt wie ein Plantagenbesitzer, den es aus den Südstaaten in die große Stadt verschlagen hat. Sein Anzug ist so ausgesucht weiß wie seine RADO-Uhr und seine Haare. Der Rücken ist schon ziemlich schief mittlerweile. Wolfe sieht ein wenig aus wie Master Yoda, wenn er so von unten her leise kichernd mit einem redet. Sofas, in denen man versinkt. Definitiv kein Bauhaus-Geschmack. Upper East Side Plüsch. Überall Plakate von Hutfirmen. Am halbrunden Schreibtisch: Lampenschirme als Borsalinos. Der Anlass des Besuchs liegt auf dem Couchtisch: Sein legendäres Buch „Electric Kool-Aid Acid Test“ von 1968 ist vom Taschen Verlag als Prachtband neu aufgelegt worden. Wolfe blättert durch eines der Exemplare; er zeigt die wunderbaren Fotos, alle in schwarzweiß, denn Farben sahen ja schon die LSD-Jünger, um die es geht, mehr als genug. Er zeigt eine Zeichnung von Ken Kasey, sagt „typisch für die Ära!“ und „psychedelisch“ und „jede Menge Kreisel“, und er sagt: „Sie haben es so dermaßen exakt reproduziert, es ist verblüffend.“

Zeit, die harmonische Stimmung ein bisschen aufzukratzen.

Als ihr Kollege Gay Talese seinen berühmten Sinatra-Text noch mal als Prachtbildband bei Taschen rausbrachte, haben Sie ihm ein Dinner gegeben.

 

Moment! Ich traf ihn AUF einem Dinner, das der Verleger gegeben hat.

 

Und Sie dachten: So was will ich auch! Man hat ja immer den Eindruck, da läuft seit Jahrzehnten ein Wettkampf zwischen Ihnen. Um die farbenfrohesten Reportagen – und um die gewählteste Garderobe…

 

Die hatten mich schon vorher angesprochen. Aber Taleses Buch ist natürlich auch toll. Ein wunderbarer Artikel, den er da geschrieben hat.

 

Wie oft haben Sie Ihr Buch denn wiedergelesen?

 

Als das jetzt anstand. Und ich bin beeindruckt davon. Von seinem jugendlichen Spirit!

 

Sie waren ja auch jung damals, und diese Leute waren jung…

 

Jung? Ich hatte keine Magazinreportagen geschrieben bis ich ungefähr 33 war, und mein erstes Buch, eine Sammlung von solchen Reportagen, kam nicht raus, bevor ich 35 war.

 

Eine sehr literarische Form von Reportagen; der sogenannte „New Journalism“

 

Ja, närrischer Name.

 

Sie haben ihn geprägt!

 

Ich habe den Namen nicht erfunden! Jedenfalls basierte das alles auf 4 spezifischen Techniken, die ursprünglich vom Film und vom Roman abgeschaut waren: ERstens, szenische Konstruktion, auch bei Essays, zweitens jede Menge Dialog, was viel Recherche erfordert, dann, ein bisschen umstritten: Versetz dich in den Kopf deiner Figuren. Wenn man genug mit denen geredet hat, ist das legitim. Dann muss man nicht schreiben: Er sagte, ich habe dies und jenes gedacht. Lass es ihn einfach denken.

Und dann ist da diese Sache, die mich am meisten umtreibt: das Vermerken von Statusdetails. Sie kennen diese Gucci-Loafers mit der kleinen Messing-Tresse hier oben. Sehr viel beeindruckender als wenn da nichts aus Metal wäre. Es ist einfach, auf solche Details hinzuweisen, man darf sich nur nicht im Erzählfluss behindern lassen, indem man erst einmal die Signifikanz so eines Metall-Dings beschreibt.

 

Das Personal von „The Electric Kool-Aid Acid Test“ trug nicht Gucci.

 

Nein, in der Tat. Was trugen die denn noch?

 

Auf den Bildern in dem Band sieht man viele Chelsea Boots.

 

Ja, viel Stiefel. Eigentlich, nein: Ich erinnere mich eher an Sneakers.

 

Das Buch handelt von dem LSD-Guru Ken Kesey und seinen sogenannten Merry Pranksters. Es behandelt diese ganze psychedelische Szene als eine entstehende Religion Mit Kesey als Messias, den Pranksters als Jüngern, und Sie, Herr Wolfe, spielen darin vielleicht unfreiwillig die Rolle des hl. Paulus, also des Skeptikers, der zum größten Propagandisten wird. Letzlich war Ihr Buch verantwortlich dafür, dass LSD so populär wurde in den USA und darüber hinaus.

 

Naja, Evangelist….Tatsache ist, der große Konservative William Buckley, der ein Bekannter von mir war, gab den „Electric Kool-Aid Acid Test“ seinem Sohn, und zwar mit den Worten: „Das da kann passieren, wenn Du mit dem Zeug anfängst.“ Er gab es ihm als Warnung. Aber viele Leute nahmen es natürlich auch so, als hätte ich da eine Menge positive Aufmerksamkeit auf die Drogen gelenkt. Mir ging es nur darum, dass es eine religiöse Bewegung war und genauso anfing wie Religionen das klassischerweise tun. Religionen starten gewöhnlcih mit wenigen Leuten, gewöhnlich Männern, die von einer bestimmten Lehre fasziniert sind. Je mystischer desto faszinierender. Und das Höchste wenn es dabei auch zu Zuständen der Glückseligkeit kommt.

Drogen haben diesem Ziel schon mehr als einmal nachgeholfen. Was auch immer die Zoroastrier genommen haben, hatte so einen Effekt. Und in unserem Land geschah das nun mit der psychedelischen Bewegung. Das war eine absolut typische mystische Bewegung wie in der Vergangenheit. Dessen waren die sich selbst vielleicht nicht bewusst. Aber es hätte sie auch nicht gejuckt. Für Amerika war es was Neues, aber es war nicht neu in der Welt.

 

Und Sie selbst? Meistens heißt es, Sie hätten nichts genommen, irgendwo aber auch: einmal doch, allerdings alleine, nicht in der Gruppe.

 

Also nicht wirklich… Es war soo wenig.

 

Und? Glückseligkeit?

 

Ich habe mich vor allem krank gefühlt.

Eine Menge Leute werden krank dabei. 1966 war einer von sechs Patienten, die in die Psychiatrie eingeliefert werden mussten, jemand, der LSD genommen hatte. LSD stellte sich als durchaus nicht so bewusstseinserweiternd und Türen öffnend heraus, wie Aldous Huxley das dargestellt hat und jeder in der psychedelischen Szene behauptet. Tatsächlich unterbricht es ja vielmehr bestimmte Kreisläufe im Gehirn, und daher bekommst du nur noch ein sehr verzerrtes Bild von dem, worauf du starrst. Das Gehirn will damit klar kommen, und so kommt es zu Halluzinationen. Also wenn, dann vermindert es deine Klarsicht und dein Wissen.

 

Sie bevorzugten also ihr Bewusstsein unerweitert?

 

Ich fand es ziemlich gefährlich. Einige Leute landeten nach schlechten Trips im Krankenhaus, andere hatten Flashbacks später. Die wurden zum Teil noch Tage später vom Licht einer Diskokugel in ihre Halluzinationen zurückgeschickt.

 

Sie sagen irgendwo, dass Sie die Pranksters immer nach ihrer Flucht nach Mexiko befragen wollten, und die meinten: Das ist doch nicht, worum es geht. Es gehe um „das Unausgesprochene“. Trifft ja fast die Definition von Esoterik und Exoterik: Die sind „drinnen“ und verlangen, dass Sie auch „reinkommen“ und hassen es, bei diesem „Drinsein“ von außen begutachtet zu werden… Bisschen so?

 

Tatsache ist, dass Kesey eines Tages zu mir kam und sagte: Warum tust du nicht dein Notizbuch weg und bist einfach nur hier? Nimm paar Drogen, join the group, get the spirit! Ich habe hart darüber nachgedacht für mindestens 15 Sekunden, und am nächsten Tag stand ich wieder da mit meinem Notizbuch. Er hat nix gesagt, er hatte verstanden.

 

Warum ließ er Sie überhaupt an sich ran?

 

Er war scharf darauf, dass über ihn geschrieben wird, von mir oder irgendwem, weil er 5 Jahre Haft in Aussicht hatte wegen Drogen. Es war ihm wichtig, darzustellen, dass er etwas Bedeutsameres ist als ein gewöhnlicher Beschuldigter. Das hat er auch hinbekommen. Er konnte die Haft auf seiner Farm absitzen, im Hausarrest

 

Kamen Sie gut zurecht miteinander?

 

Nicht wirklich. Einmal kam ich zurück zu ihm und sagte „Hi Ken, wie geht es?“, und er hat mich nur angeschaut. Sehr einschüchternd.

 

Sie wiederum waren ja mit Ihrem weißen Anzug gewappnet. Sie haben nie versucht, hip auszusehen, oder?

 

Das schon, aber ich trug keinen weißen Anzug bei der Reportage!

 

Da gibt es dieses tolle Bild ganz hinten im Buch, Sie unter dem Straßenschild der mythischen Kreuzung Haight/Ashbury in San Francisco zusammen mit Jerry Garcia und dem Manager der Grateful Dead: Ein Versicherungsvertreter, der die Hippies nach dem Weg fragt….

 

Der war grau!

 

Tolles Bild.

 

Yeah. Großartiges Foto. Ich bin nur enttäuscht, dass ich da keine Krawatte trage. Jacket ist das Mindeste, wenn ich auf Reportage gehe.

Nur einmal ganz am Anfang meiner Karriere hab ich versucht, mich kleidungsmäßig unter die Leute zu mischen, über die schreiben wollte. Da ging es um Stockcar Rennen in North Carolina. Ich dachte: Ok, es ist auf dem Land, illegale Rennen, ich zieh mich mal entsprechend an: Grüner Tweed-Anzug, blaues Button-Down Hemd, schwarzen Schlips und Borsalino. Ich dachte, das sollte reichen für „leger“. Oh mein Gott: Es war als ob ein Marsmännchen gelandet wäre.

 

Hat es geholfen?

 

Es behindert eher, wenn man hip aussehen will. Wer so tut, als sei er ein Auskenner kann dann nicht mehr nach dem Grundsätzlichen fragen. Als Marsmensch kann du immer fragen: Oh, interessant, was machen Sie da eigentlich gerade? Und die meisten Leute können gar nicht genug kriegen vom Auskunft geben. Ich nenne es „Informationsdrang“. Ich kriege Statuspunkte für das Wissen von Dingen, die der andere nicht weiß. Wenn ich durch Southampton laufe, wo ich die Sommer verbringe, und ein Autofahrer fragt: „Wie komm ich zur Cadman Street?“, dann kann ich gar nicht genug erklären. „Sie fahren zur nächsten Kreuzung, machen kehrt, nehmen nicht die erste, sondern die zweite Ampel…“ Bis ich fertig bin, ist der steifgelangweilt. Fragt mich aber einer, wo die Cadman Street ist, und ich habe keine Ahnung, laufe ich weiter und murmele „Was glaubt der, wer ich bin? Geograf?“

 

Es gibt dort natürlich gar keine Cadman Street, aber wie beiläufig Sie damit Ihr Haus in den Hamptons ins Spiel gebracht haben, bringt natürlich auch Statuspunkte. Nur: Sind Sie dort nicht viel zu vornehm angezogen?

 

Sagen wir lieber: Ich kleide mich zu altmodish

 

Markiert in den Hamptons nicht „Downdressing“ den Status?

 

Das ist wahr. Krawatte ist ein Fauxpas.

 

Sie werden gelegentlich für den Kellner gehalten, richtig? Leute fragen Sie nach freien Tischen. Haben Sie mal erzählt.

 

Ich habe mal ein Bild gesehen: Park Avenue, der Doorman ist angezogen wie ein österreichischer Leutnant von 1870. Heraus kommt ein 18-jähriger, Sohn eines Wohnungsinhabers dort, mit völlig zerrissenen Jeans. Abgerissenheit ist ein positives Statusmerkmal geworden, übrigens exakt in den späten Sechzigern.

 

San Francisco, Heimstatt der Hippies und der psychedelischen Drogen, ist inzwischen zur Hauptstadt der Digitalwirtschaft geworden, und die mächtigsten Figuren dort sind oft radikale Downdresser: die T-Shirts von Zuckerberg, die Dad-Jeans von Steve Jobs… Auch diese Welt hat etwas ziemlich Religiöses an sich. Wundert Sie, dass exakt dort LSD nun so ein Riesen-Comeback feiert – in Mikrodosierung: Die Tech-Hipster nehmen so wenig, dass sie beflügelt durchrackern können.

 

Wusste ich nicht! Vielleicht sollte ich zurückgehen? Ich mag Mikro.

 

Wie kommt es, dass Psychedelisches generell wieder so in Mode ist gerade? Allein in New York soll es jede Nacht hunderte Ayahuasca-Zeremonien geben. Da würden Sie übrigens endlich mal reinpassen; alle kleiden sich da in weiß.

 

Sie geben mir ja immer mehr brillante Ideen! Wie schreibt sich das?

 

Ayahuasca. Ein Pflanzensud aus dem Regenwald. LSD für Bio-Käufer, wenn Sie so wollen.

 

Macht es Halluzinationen?

 

Die Leute sprechen von Bewusstseinserweiterung, Heilung, Erwachen…

 

Großartig.

 

Woher kommt dieser Drang nach chemisch befeuerter Spiritualität – bevorzugt bei Leuten, die es ausdrücklich nicht mehr in die Kirche gehen?

 

Wissen Sie, die psychedelische Bewegung von damals war ein überwiegend weißes Phänomen, und die Leute waren fast ausnahmslos einen christlichen Hintergrund. Da waren praktisch keine Schwarzen dabei, keine Latinos.

 

Soll heißen: Man muss erst einmal privilegiert genug sein, um sich die Absage ans spießige Diesseits leisten zu können? Sie haben mal gesagt, die Sechziger waren eine Boom-Periode, und das sei der Grund für all die Drogen und Kommunen.

 

Dass so viele junge Leute zu Hause auszogen und sich zusammentaten, hatte schlicht auch damit zu tun, dass genug Geld da war.

 

Das ist eine recht, sagen wir, materialistische Analyse einer romantischen Bewegung. Dieser Außenaufblick, die Aufmerksamkeit für die Oberflächen der Dinge, Klamotten, Status-Unterschieden: Stammt das alles letztlich aus ihrer Max-Weber-Lektüre während des Studiums in Yale?

 

Im Grunde schon. Als ich in Yale war, hatte ich eigentlich die typische Verachtung von Studenten der schönen Künste für die Soziologie. Aber als Max Weber dran kam, wurde das DER Gegenstand meines Studiums. Das erste, was ich herauszufinden versuche, wenn ich eine Story schreibe, ist dies: Was sind die Status-Bedenken der Leute, um die es geht.

 

1967 saßen sie auf einem Podium zusammen mit Alan Ginsberg und Günter Grass. Die waren gegen den Vietnamkrieg und die amerikanische Regierung, Sie sahen das anders. Aus Überzeugung – oder um Statuspunkte zu sammeln, indem Sie Grass eine Nase drehen?

 

Das Podium, stimmt! Mir ging es wesentlich darum, dass Intellektuelle in gewisser Weise auch nur Status-Opfer sind. Eine der Sachen, die du als Intellektueller offenbar zwingend zu tun hast, ist es, möglichst skeptisch auf das eigene Land zu schauen, wissen Sie? 1967 war zufällig das Jahr, in dem Noam Chomsky ein Stück schrieb, in dem er den Vietnamkrieg verurteilte und die Atombombenabwürfe auf Japan als einen der monströsesten Akte in der Menschheitsgeschichte nannte und solche Dinge. Das war eine etwas altmodische Version davon, wie Intellektuelle konditioniert worden sind, auf die Vereinigten Staaten zu schauen. Ich fand, das war einfach so geistloses Gleichschritt-Herangehen an die USA. Was ist so schlimm an den Vereinigten Staaten? Spar Deinen Atem, Junge, für etwas, das es wirklich wert ist, attackiert zu werden, wenn du schon attackieren musst…. Um ein Intellektueller zu sein, ist nur eine Sache zu beachten, das ist sich slbst als Intellektueller zu begreifen. Automatisch sind dann sehr viele andere Mitbürger unterlegen, weil sie keine Intellektuellen sind. Also ich hatte immer meinen Spaß mit den Intellektuellen.

 

Wie haben Grass und Ginsberg reagiert?

 

Mein Eindruck war: Denen konnte nichts egaler sein. Günter Grass war ein Gigant damals. Ginsberg auf seine Weise auch. Ich erinnere mich eigentlich vor allem daran, dass ich fand, ich hätte es schon ziemlich gut damit getoffen, überhaupt neben diesen beiden auf einem Podium zu sitzen. (lacht)

 

Dieser lebenslange Hang, die Gewissheiten der intellektuellen Bohème und der linksliberalen Kultur-Milieus von New York gegen den Strich zu bürsten, hat uns großartige Bücher beschert: „From Bauhaus to our house“, das auf deutsch „Mit dem Bauhaus leben“ hieß. Und „The painted Word“, das leider bisher unübersetzt geblieben ist. Auch wenn man es ganz anders herum sieht als Sie, müsste man die eigentlich zur Schullektüre machen, denn nirgendwo wird die amerikanische Architektur- und Kunstgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts konsistenter zusammengefasst…

 

Beide Bücher waren Werke der Soziologie! Ich habe nicht ein ästhetisches Urteil abgegeben in einem der Bücher. Ich habe mich nur über bestimmte Leute ein bisschen lustig gemacht.

 

Und die reagierten ziemlich beleidigt, richtig?

 

Aber ja! Artforum, eine dieser Kunstzeitschriften, schrieb etwas in der Art von „Tom Wolfe ist ein Arschloch“. Die schrieben nicht: Das ist eine wichtige Figur, aber hier lag er falsch. Die wollten von Anfang an klarmachen, dass es wertlos war, eines zweiten Gedankens unwürdig. Es mag nicht das Wort „Arschloch“ gewesen sein, aber doch etwas ziemlich Vulgäres.

 

Finden Sie nicht, dass gerade das Aufziehen von East Coast-Intellektuellen und Liberalen als Disziplin in letzter Zeit ziemlich vulgarisiert worden ist – nicht zuletzt durch Donald Trump und seine Anhänger?

 

Ich betrachte das, was ich geschrieben habe, schlicht als die simple Wahrheit. Ich habe mich nie mit dem Gedanken hingesetzt: Jetzt besorgen wir es mal jemandem.

Ich habe gerade „The Kingdom of Speech“ veröffentlicht, ein Buch, in dem ich eine Menge Dinge über Noam Chomsky sage, die man als negativ betrachten könnte. Aber gleichzeitig sage ich auch, dass er eine der brillantesten und charismatischsten Figuren des vergangenen Jahrhundert ist. Wenn ich Chomsky wäre, würde ich mich freuen über das Buch.

 

Hat er sich dazu schon geäußert?

 

Ja, in seiner verqueren Weise. Ich kann nicht sicher sein, ob ich alles mitbekommen habe, was er dazu gesagt hat, aber es schien ihn vor allem zu beschäftigen, dass ich ihn als Radikalen-Darsteller bezeichnet habe. Dass ich gesagt habe, er würde nur an sonnigen Tagen den Radikalen geben und in der Gewissheit, dass er bei Einbruch der Dunkelheit wieder raus ist, falls er verhaftet wird, wodurch er dann sagen könne: Schaut her, ich war im Knast, ich werde eine Organisation gründen, die sich „Resist“ nennt, was er dann ja auch getan hat. Aber er hat sich gar nicht dazu geäußert, dass ich mich auf auf den Linguisten Daniel Everett beziehe, der zunächst als Missionar in den Urwald von Brasilien gegangen war, und dort bei der Erforschung des Eingeborenenvolks der Paranha zu Ergebnissen kam, die Chomskys diametral widersprechen. Chomsky glaubt ja an eine Universalgrammatik. Everett aber sagt, die Piraha sprechen grundsätzlich in viel einfacheren Sätzen. Die sagen nie: Der Mann mit dem roten Hut kam an Bord. Die würden sagen: Der Mann trug einen roten Hut. Er ging an Bord.

 

Eine ganze Menge Literatur ist offenbar von den Piraha geschrieben worden!

 

Stimmt. Hemingway schrieb bisschen so.

 

Stichwort Sprache: Wieviele Texte über Tom Wolfe imitieren eigentlich Texte von Tom Wolfe? All die Interpunktions-Gimmicks, die brüllenden GROSSbuchstaben, die S p e r r u n g e n, die Ausrufezeichen, die, nennen wir sie :::::::: Doppelpunktsalven?

 

Ich nehme es als Schmeichelei.

 

Es nervt nicht?

 

Oh nein. Es heißt ja nur, dass sie dem Stil nicht widerstehen konnten.

 

Stimmt es, dass Sie selbst sich das bei früher Sowjetliteratur abgeschaut haben?

 

Oh ja! Da gab es eine Gruppe, die nannten sich die Brothers Serapion (die Serapionowyi Bratja aus Sankt Petersburg, die sich wiederum nach den Sarapionsbrüdern rund um E.T.A. Hoffmann benannt hatten, P.R.) In literarischer Hinsicht standen die noch sehr unter dem Einfluss des französischen Symbolismus, aber die schrieben eben über dieses neue Land, die Sowjetunion, und die Geschehnisse, die sie da schilderten, waren grausam, tierisch, viel Tod und Terror – und diese Brutalität kombiniert mit dem ausgesuchten Stil – Da konnte ich nicht widerstehen. Das war großartiges Zeug.

 

Sie haben etwas für frühe Sowjet-Literatur übrig. Sie sind als Reporter sofort nach der Revolutioin nach Kuba gegangen. Sie haben sogar Ihre Dissertation über kommunistische Schriftsteller-Bünde im Amerika der dreißiger Jahre geschrieben. Von Ferne könnte man meinen, Sie fühlen sich ziemlich hingezogen zur Linken.

 

Ach, nein. Der Kommunismus war nur einfach „big news“, als ich auf der Uni war. Da gab es allerdings Leute, die sagten, ich solle mal lieber nicht versuchen, eine Doktorarbeit darüber zu schreiben.

 

Weil das die Jahre von Senator McCarthy waren, dem eifrigen Kommunistenjäger?

 

Aber ja! Und dann wurde mir gesagt, mein erster Entwurf der Disseration popularisiere die Geschichte zu sehr. Sie mochten den Ton nicht. Ich hatte da so einen schönen szenischen Einstieg…

 

Es war zu … literarisch?

 

Genau. Dann habe ich es halt anders herum gemacht. Ich denke, es ist die trockenste Dissertation, die je geschrieben wurde. Ich bezog mich dann zum Beispiel auf „E. Hemingway, einen Dichter jener Epoche“… lacht.

 

Haben Sie auch schon gekichert, als Sie das geschrieben haben?

 

Ja, ich fand das ziemlich amüsant. Man kann sehen, dass ich feste Wendungen verwende, und dann die Details folgen lasse, die diese Wendungen unterstützen. Das ganze Ding ist in so einer superorganisierten und komplett trockenen Weise geschrieben. Aber es hat seinen Zweck erfüllt und mir den Doktortitel gebracht.

Ich war zeitlich ja noch nah dran an den Ereignissen, die ich beschrieb in den Fünfzigern. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der kommunistische Einfluss unter Literaten und Drehbuchautoren so ein Thema. Ronald Reagan hatte sich einen Namen damit gemacht, die Kommunisten in Hollywood zu bekämpfen. Aber bis der Weltkrieg vorbei war, nahm unsere Allianz mit der Sowjetunion ein bisschen die Schande von der Sache. Nach dem Krieg sah es dann anders aus, dann kam Joseph McCarthy ins Spiel. Aber ich war ehrlich gesagt immer mehr an der Geschichte interessiert als an der politischen Seite. Ich werde generell als Konservativer gesehen, weil es eine Menge linksliberaler Frömmeleien gibt, die ich nicht teile. Von mir aus. Wenn Du spürt, dass du die Wahrheit aussprechen musst, sprich die Wahrheit aus.

 

Was machen Sie dann jetzt mit der Wahl zwischen Donald Trump und Hillary Clinton?

 

Ich glaube es gab noch nie in der amerikanischen Geschichte zwei Kandidaten mit schlechteren Zustimmungswerten, in beiden Fällen nur um die 30 Prozent. Das macht es schon mal zu einer sonderbaren Wahl. Und der Umstand, dass Trump keinerlei politische Erfahrung hat, macht es zu einer sehr sonderbaren Wahl. Aber er sagt eben fortwährend Dinge, die von vielen Leuten als Verletzung der political correctness wertgeschätzt werden. Wenn er zum Beispiel sagt, dass wir keine illegalen Einwanderer aus Mexiko reinlassen sollten, dann muss man, als rein sachliche Feststellung, sagen: illegale Einwanderung ist nun einmal illegal. Er sagt da Dinge, die offenbar vielen Leuten aus dem Herzen sprechen, und das waren seine ersten Anhänger. Ich hätte nicht gedacht, dass er es weit bringt, und ich lag falsch. Ich versuche jetzt lieber nicht zu verstehen, warum er so erfolgreich zu sein SCHEINT mit seiner Kampagne. Auch wenn er im ersten Fernsehduell mit Clinton nicht besonders erfolgreich gewesen zu sein SCHEINT. Die New York Post titelte „DON but not out“, er ist noch nicht erledigt.

 

Ist das auch etwas, das sich kühl außen betrachten und beschreiben lässt – oder sind Sie hier nicht selbst involviert, als Bürger und Wähler? Es geht schließlich um Ihr Land, wenn nicht die ganze Welt.

 

Ich gehe eigentlich immer wählen. Aber wenn ich es jetzt auf der Stelle tun müsste, wüsste ich nicht, was ich tun sollte.

 

Um auf das Buch zurückzukommen und auf die Wichtigkeit soziologischer Details: Wieviel Geld haben Sie damals eigentlich dafür bekommen – und was haben Sie dafür gekauft?

 

Nach dem „Electric Kool-Aid Acid Test“ hatte ich zum ersten Mal genug Geld, um darüber nachzudenken, als Schriftsteller zu leben. Und natürlich habe ich mir ein paar Anzüge machen lassen. Weiße Anzüge. Die sind ja nicht billig. Heute sind zehn- bis zwölftausend Dollar ziemlich normal. (Lustig, sein Kollege Gay Talese setzte im Gespräch 4-5000 für ein ordentliches Sakko an.) Damals war es bisschen weniger. Ich habe kein Auto gekauft, das weiß ich noch. Aber ich hatte zum ersten mal ein finanzielles Kissen.

 

Sie haben damals Ihren Job beim Magazin geschmissen.

 

Ja, tat ich. Aber nicht so sehr, weil ich das Geld hatte, sondern weil das tolle „New York“ Magazin, das meine Heimat war, von Rupert Murdock gekauft wurde, und nach dessen Pfeife wollte ich nicht tanzen.

Dann wurde ich etwas, das ich immer für einen Witz gehalten hatte: freier Autor. Wann immer irgendwas Ehrenrühriges in einem Motel in New Jersey geschah, gab das Mädchen an, Model zu sein, und der Mann sagte, er sei freier Autor. Ich hielt das für ein Witzwort, und plötzlich war ich: freier Autor.

 

Ein Angestellter bringt es auch nicht unbedingt schneller zu einer Wohnung am Central Park und einem Sommerhaus in den Hamptons…

 

Ich kam zurecht. Aber wirklich geschafft hatte ich es erst, als ich „The right stuff“ geschrieben hatte. Ich war trotzdem absolut glücklich. Wie die meisten Autoren bin ich nicht mit der Idee da hineingeraten, viel Geld zu machen. Die Idee war, berühmt zu werden.

 

(c) PETER RICHTER

 

TASCHEN

Tom Wolfe. The Electric Kool-Aid Acid Test

Tom Wolfe, Lawrence Schiller, Ted Streshinsky

Hardcover-Band im Schuber, 356 Seiten

€ 300

Collector’s Edition von 1.768 nummerierten Exemplaren, jeweils signiert

von Tom Wolfe.

Auch erhältlich in zwei Art Editions, auf jeweils 100 Exemplare limitiert,

mit je einer Farbfotografie.