Laura Poitras‘ „Astro Noise“

Laura Poitras hat etwas zu sagen, und das tut sie journalistisch oder mittels Filmen und wenn es sein muss auch als Kunst. Für das, was sie zu sagen hat, ist es dabei nicht unwesentlich, wo sie jetzt zum ersten Mal überhaupt mit einer Einzelausstellung auftritt: Das Whitney Museum of American Art in New York hat ihr eine ganze Etage gegeben, und das ist für diese Institution auch ein Statement eigener Art. Und für Poitras ist es eine triumphale Heimkehr, nachdem sie, wie ein im Katalog abgedruckter Tagebuchausschnitt verrät, fast schon davon ausgegangen war, für immer in ihrem deutschen Exil bleiben zu müssen.

Die ständigen Verhöre auf den Flughäfen, die sie seit Beginn Arbeit an ihrer „9/11-Trilogy“ durchmachte, hatten es der Amerikanerin 2012 geraten erscheinen lassen, lieber von Berlin aus daran weiter zu arbeiten. Zwei Filmen über Amerikas „War on Terror“ nach den Anschlägen vom 11. September sollte ein dritter folgen, der sich mit der Überwachung nach innen beschäftigte und während der Arbeit daran zu einer Live-Dokumentation über die Flucht und die Enthüllungen des Ex-CIA-Analysten Edward Snowden wurde. (vgl. SZ vom 13.10.2014). Wie es weiterging, ist bekannt: Für den Film gab es einen Oscar, Snowden gilt in den USA weiterhin als Verräter, die Nachrichtendienste setzen ihre Arbeit fort, worüber die öffentliche Empörung in Europa deutlich größer scheint als in den USA selbst; wenn allerdings Terroranschläge wie in Paris geschehen, wird wiederum allgemein das „Versagen der Dienste“ beklagt, was von Geheimdienstlern wie dem früherne CIA-Boss Michael Morrell erwartungsgemäß den Snowden’schen Offenlegungen angelastet wird.

Woran aber vielleicht noch einmal erinnert werden muss: „Citizenfour“, der Titel des Films, war der Name, unter dem Snowden damals Kontakt zu Poitras aufgenommen hatte. Den verschlüsselten Ordner mit den Beweisen für die Massenüberwachung durch die NSA hatte er „Astro Noise“ genannt – nach dem galaktischen Hintergrundrauschen, das den Experten zufolge noch vom Big Bang kündet, wenn man so will: die astronomische Variante von Benjamins Wind der Geschichte, der vom Paradiese her bläst. Poitras nutzt den poetischen Überschuss und hat nun ihre Ausstellung ebenfalls „Astro Noise“ genannt. Es geht schließlich auch um das gleiche: Die Realität einer „totalen Überwachung“. Im speziellen Rahmen eines Kunstmuseums rückt die Sichtbarkeit dieser Aktivitäten in den Fokus, oder wenn man es in ästhetischen Begriffen fassen will: das sinnliche Scheinen einer Idee von Sicherheit, deren Praxis ziemlich viele Gefangene macht. Und so steht, wer im Whitney Museum aus dem Fahrstuhl tritt zunächst einmal Bildern gegenüber, die auf den ersten Blick wirken, als hätten sich dafür die Künstler Gerhard Richter und Wade Guyton zusammengetan. In Wahrheit, ist zu lernen, sind es Visualisierungen von Satelliten- und Drohnen-Signalen, die durch die Britische Armee aus dem Himmel über dem Mittelmeer gesaugt wurden. Diese Operation hieß, Snowdon zufolge, ausgerechnet „Anarchist“.

Dass der Aufeinanderprall von bildgebenden Medien, Natur und Militärtechnik Ergebnisse zeitigen kann, die eminent nach geradezu wohnzimmertauglich schöner Kunst aussehen und erst auf den zweiten ihren wahren Charakter offenbaren, beweist der Trevor Paglen schon seit ein paar Jahren. Paglen und Poitras gehören zu einer ganzen Szene von überwachungskritischen Amerikanern, die zwischen Berlin und den USA pendeln. Die inhaltliche Nähe drückt sich auch formal aus. Die Bilder, die Poitras hier ausstellt, wirken wie die in jeder Hinsicht ungegenständliche Variante dieses Ansatzes; sie werden nicht besonders konkret, sie machen nur deutlich, dass unser sekularisierter Himmel wieder bewohnt ist, diesmal allerdings von herumhuschenden Spionen und von ätherischen Todesschwadronen.

Das nächste, was man sieht, ist ein Film, der in Slow Motion die Gesichter der Leute in den Blick nimmt, die kurz nach den Anschlägen vom 11. September die Trümmer des World Trade Centers besichtigen, die ganze Klaviatur der Reaktionen von Schock, Trauer, Fassungslosigkeit. Auch das ist zunächst einmal von einer etwas ostentativen Bill-Viola-Kunsthaftigkeit. Aber auf die Rückseite dieses Filmwand lässt Poitras Videoaufzeichnungen von Verhören in Guantanamo projizieren, und das zeigt dann schon eher, worauf sie hinaus will. Arabische Männer auf Knien, in Fesseln, mit Tüten über dem Kopf. Die Auswahl der Befragungsszenen insinuiert, dass es ein sinnloses Martyrium Unschuldiger sei.

„Bed Down Location“ wiederum ist Militärjargon für das Angreifen von sogenannten Zielpersonen aus der Luft her. Poitras gleichnamige Installation ist eine Liegewiese, auf der man sich vorkommt wie beim Draußenschlafen in einer Sommernacht mit Blick in den Sternenhimmel. An die Decke projiziert Poitras Filme von den Nachthimmeln über den Vereinigten Staaten, Pakistan, Somalia und dem Yemen, und zwar im Zeitraffer. Es herrscht daher enorm viel Verkehr im Sternenmeer, und man weiß, dass einige dieser Sternschnuppen bestimmten Leuten den Tod bringen, und manchmal ein paar unbestimmten Leuten links und rechts davon gleich mit.

Nächster Raum: Briefkastenschlitze in der Wand, durch die man hindurchlugt wie ein Schnüffler an fremden Wohnungstüren. Dahinter finden sich dann von Snowden geleakte CIA-Dokumente, Interviews mit dem Ex-Guantamo-Häftling Murat Kurnatz und mit dem Whistleblower William Binney, ehemals CIA und NSA, Drohnen-Aufnahmen, kurz: das Material, über das Poitras verfügt in direktester, eigentlich journalistischster Form, nämlich als wie zur Beteuerung im Reliquiar dargereichtes Dokument. In diesem Teil der Ausstellung kommt es am wenigsten als Kunst verkleidet daher. Poitras hat ganz offensichtlich nach Kanälen gesucht, um ihr Material und ihre Botschaft so wirkungsvoll wie möglich zu vermitteln, und hat sie in den bekannten Arsenalen der Kunst und der Ausstellungsarchitektur auch gefunden. Um eine Arbeit an diesen Kanälen ging es nicht so sehr. Und das ist verständlich. Poitras ist auch, wenn sie als Künstlerin auftritt, immer noch in erster Linie engagiert, also Aktivistin. Daher ist es folgerichtig, dass sie am Ende ihre eigene Überwachung zum Thema macht. Sie hat auf die Herausgabe der Akten geklagt und das auch erzwingen können. Denn was kritische Künstler-Aktivisten wie Poitras oder auch Paglen geradezu als besonders patriotische Amerikaner ausweist, ist die Tatsache, dass sie ihre Rechte gegenüber den eigenen Behörden schon deswegen in Anspruch nehmen, damit die gewissermaßen in Gebrauch und Erinnerung bleiben.

Das Whitney Museum will jetzt allen Ernstes ausstellungsbegleitend Workshops zur digitalen Verschlüsselung und solchen Themen veranstalten. Die Totalabschaffung jeder Möglichkeit von Privatheit und Unbeobachtetsein beschäftigt zu Recht nun auch die Museen. Man könnte, natürlich, die Frage stellen, wie sich das mit dem Bedürfnis verrechnet lässt, vor Terroranschlägen geschützt zu sein. Aber dann kommt von der deutschen Bundesregierung, als hätten sie im Kanzleramt den Ausstellungsplan des Whitney an der Wand hängen und sonst zur Zeit keine dringenderen Probleme, die Kampfansage an das Bargeld – mit der schmierig grinsenden Begründung, man sei doch kein Geldwäscher, Steuerhinterzieher oder Mädchenhändler, oder etwa doch? Wozu am anonymen Bargeld festhalten, wenn wir uns längst über unsere Telefone zu jeder Tages und Nachtzeit freiwillig tief in den Allerwertesten blicken lassen? Aber wo immer eine Regierung es ist, die sagt, wer nichts zu verbergen hat, habe auch nichts zu befürchten, da stirbt ein Stück von dem, warum man lieber in einer freien Gesellschaft leben will und nicht gefesselt, auf Knien und mit einer Tüte über dem Kopf.

(c) PETER RICHTER

Dieser Text erschien zuerst aus Anlass von Laura Poitras‘ „Astro Noise“ (bis 1.5.2016) im Februar 2016 im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung