Little Russia, Brighton Beach

Über: Russland - die Ukraine - einen Strand in Brooklyn

Du nimmst von Manhattan aus die U-Bahn-Linie Q, fährst nach Brighton Beach und bist in einem anderen Land, musst allerdings trotzdem mit Dollars bezahlen. Im Restaurant Gambrinus am Ocean Parkway tun die Kellner zum Beispiel so, als befänden wir uns auf dem Panzerkreuzer Potemkin: Sie tragen Matrosenhemden und wirken außerordentlich gefechtsbereit. Nicht alle sprechen Englisch, die wenigsten sprechen überhaupt besonders viel, und schüchternes Schulrussisch ändert an der insgesamt eher einschüchternden Gebärde, mit der sie einem den Borschtsch hinstellen, auch nicht wirklich was. Das trinkgeldgeile Kellnergrinsen überlässt man im Gambrinus selbstbewusst dem großen Rest Amerikas.

Hier soll es nun neulich ein kleines Gerangel gegeben haben zwischen Anhängern der ukrainischen Sache und ein paar Burschen, die das St.-Georgs-Band trugen, orange-schwarz gestreift, aus dem Zarenreich herübergewachsenes Symbol russischer Tapferkeit. Erzählen manche. Andere wiederum sagen: Ach was. Im Moment geht die Tendenz der Meinungen zu: Ach was. Continue reading

Stadt mit Bart

Über: Pferdekutschen - Friedrich-Engels-Bärte - taktische Nostalgie

Der Bart als phylogenetischer Restbestand unserer ehemaligen Vollbehaarung stellt evolutionär betrachtet eine spezialisierte Form der Körperbedeckung dar und signalisiert klaren Sexualdimorphismus. So steht es in Christina Wietigs Dissertation „Der Bart – Kulturgeschichte des Bartes von der Antike bis zur Gegenwart“, Hamburg 2005.

Die Pferdekutsche als Restbestand unserer ehemaligen Straßenverhältnisse stellt evolutionär betrachtet eine Verkehrsbehinderung dar und ethisch eine Tierquälerei, sie signalisiert aber klar Romantik und wird deshalb gegen alle Abschaffungsversuche verbissen verteidigt. Das steht so in noch keiner Doktorarbeit, kann allerdings so gut wie jeden Tag in der New York Times nachgelesen werden. Was Vollbart und Kutschen nämlich verbindet, abgesehen davon, dass beides Atavismen sind: Sie sind das, was die New Yorker im Moment über die Maßen beschäftigt – mehr als man das vielleicht vermuten würde in einer Stadt, von der die Welt sich eher das Neue erwartet, Trends, Moden, Zukunft. Ganz offensichtlich ist aber der modernste Trend, der von New York für die Zukunft ausgeht, das 19. Jahrhundert. Continue reading