UR in NYC

Wenn die Techno-Pioniere von Underground Resistance an einem Sonntagnachmittag um 15:30 Uhr die Bühne betreten, hätte man früher in Berlin gesagt: Der Samstagabend im „Tresor“ neigt sich seinem Höhepunkt zu. Wenn das gleiche in New York passiert, ist es eine Sonntagnachmittags-Veranstaltung im Museum of Modern Art, Außenstelle PS1. In New York, in den USA generell, haben Auftritte des Kollektivs aus Detroit aber auch den wesentlich größeren Seltenheitswert. Im Sinne von: Es passiert faktisch nie. Und dieser Umstand ist alleine schon ein Grund dafür, dass es Bitteres und Ernstes zu besprechen gab an diesem Nachmittag.

Getanzt wurde schon auch ein bisschen, so gut das Leuten eben möglich ist, die Kaffee in der Hand halten statt Bier (UR-Mitglied Nomadico legte einfach auf, als wäre das hier eine Nacht in Berlin); aber in der Hauptsache ging es um die Frage, die der Musiker Questlove vor etwa einer Woche über Instagram und Twitter in die Welt geschickt hat: Die Frage, ob es nicht an der Zeit für neue Protestsongs wäre. Die Frage, was die Antwort von Amerikas Musikern auf den Tod von Eric Garner und die Proteste gegen die exzessive Polizeigewalt.

Diesen Samstag waren in New York 25 000 Leute dagegen auf die Straße gegangen; die bisher größte Demonstration seit die Grand Jury von Staten Island beschlossen hat, jene (weißen) Polizisten nicht zu belangen, die den (schwarzen) Familienvater Eric Garner bei einem rabiaten Festnahmeversuch durch einen Würgegriff zu Tode gebracht hatten. Dazu schien der kleine Nachmittags-Rave im Museumshof nicht unmittelbar zu verhalten. Aber Mike Banks, die letzte verbliebene Gründungsfigur von Underground Resistance hat immer schon gesagt, dass er seine Tanzmusik als politisches Instrument versteht, als Werkzeug des Umsturzes. An diesem Nachmittag in New York sprach er nun auch wieder davon, dass er gern der Soundingenieur von Gerüchten wäre, die sich dann unter den Leuten verbreiten wie die Viren. Oder von musikalischen Tretminen. Er sprach von der Revolution durch Klang, von den Beatles und vom Ende des Vietnamkrieges: „That shit changes things!“ Aber die konkrete Kommentierung der Proteste gegen die Polizeigewalt im Fall von Eric Garner und zuvor in Ferguson: Die verweist Mike Banks strikt aus seiner Zuständigkeit in die des Hiphop. Hiphop ist für Banks immer noch, wie in jener berühmten Definition aus den Achtzigerjahren, das Nachrichtenmedium für das Ghetto und die Musik zur Gegenwart. Techno hingegen beschäftige sich mit der Zukunft. Aus dieser Unterscheidung leitet sich eine Haltung ab, die die aktuellen Proteste als eine temporäre Aufgeregtheit da stehen lässt. Banks, der in Alter wie Äußerem immer ein wenig an den Rapper und Schauspieler Ice T denken lässt, sagt also, dass diese Proteste in endloser Wiederholung desselben münden. Tötungswütige Polizisten würden sich seiner Ansicht nach durch die Massenaufmärsche eher noch inspiriert sehen. In seiner urbanen Realität sei das alles leider auch überhaupt kein Schock, keine Neuigkeit, sondern einfach eine Gegebenheit – die Tötungen, die Würgegriffe. Er könne sich vorstellen, dass Underground Resistance würge-sichere Kleidung entwirft, Schutzanzüge gegen die Übergriffe der Polizei, die dann vielleicht von der eigentlichen Modewelt aufgegriffen würden und über die Laufstege zurückwirken. Ansonsten empfiehlt er, sich heute lieber schon mit Bio-Hacking zu beschäftigen, der Pharma-Industrie, den Sauereien und Protestthemen von morgen. Aus der Sicht der sehr kaputten Stadt Detroit kommt es mit anderen Worten offenbar einer geradezu naiven Idealisierung der Gegenwart gleich, wenn man jetzt gegen einzelne Fehlentwicklungen anmarschiert; aus der Sicht der gebeutelten Inner City von Detroit weiß man, dass immer schon das Ganze kaputt ist und arbeitet an den Entwürfen für morgen: Emanzipation und Teilhabe durch Technologie – und eine Musik, die das zum Ausdruck bringt. Denn: „Technologie zerstört eine Menge Bullshit“, und keiner solle bitte das Ghetto idealisieren, der Mensch müsse raus da und verdiene das auch.

Aber es gibt ein klitzekleines Problem dabei: Die Art von elektronischer Tanzmusik, die von Underground Resistance gemacht wird, wird in Amerika am wenigsten gehört und geschätzt. Schwarze Kids hören nun mal eher Hiphop. Vielen Amerikanern sei gar nicht mal mehr bewusst, dass es sich bei House und Techno um Black Music handelt. Und man muss ergänzen: Die Electronic Dance Music, EDM, die wiederum Amerikas weiße Kids bei ihren Stadionbesäufnissen feiern, hat mit Techno so viel zu tun wie in Europa der Ballermann mit dem Berliner Club Tresor, wo die dunklen, harten Klänge aus Detroit ihre eigentliche Echokammer gefunden hatten.

Dass Berlin mit und durch diese Art von Musik heute floriert, während Detroit wenig davon hat, verbittert Banks merklich. (100 Prozent aller Berlin-Elogen in amerikanischen Massenmedien handelten in den letzten beiden Jahren von den dortigen Techno-Clubs und von einer Freiheit und Durchlässigkeit, die geradezu wie ein gesellschaftliches Ideal wirken muss, wo alles mit VIP-Kordeln durchstratifiziert ist…)

Banks beklagt hier praktisch nichts anderes als Kolonialismus durch europäische Plattenfirmen. Die hätten die Musik aus Amerikas armen, schwarzen Inner Cities nur herausgenommen, aber sie hätten nie genug unternommen, diese Musik auch in den USA auf dem Markt durchzusetzen – so dass sie in Amerikas armen, schwarzen Inner Cities auch gehört werden kann. Nur ein einziger bemühe sich seit 25 Jahren wacker und erfolglos auch in Detroit etwas auf die Beine zu stellen: Dimitri Hegemann vom Berliner „Tresor“. Unsinn der Art, wonach man sich so einen Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen müsse, muss sich von Mike Banks da niemand erwarten; dafür ist die Hoffnung zu groß die Lage zu ernst.

(c) Peter Richter

Eine Variante dieses Artikel erschien zuerst am 16.12.2014 im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung