Wenn noch mal einer Gentri… sagt!

Wenn es losgeht, das Wort, klingt es noch ganz elegant und englisch, wenn es losgeht, klingt es, als könnte noch so etwas wie „Gentleman“ daraus werden. Aber was dann folgt, ist ein Haufen langgezogener Iiihs, drei Silben voller Ekel und Verachtung. Und am Ende scheppert, wie eine Tür, die ins Schloss fällt, das deutsche Bürokratensuffix „-ung“.

Das Schlimme an dem Wort ist, dass es offenbar keine Alternative dazu gibt. Das Schlimme ist, dass das für die Sache ebenfalls gilt.

Gemessen daran, dass es so ein Ärgernis ist, fällt das Wort in letzter Zeit aber ziemlich häufig. „Tschüss BMW-Gentrifizierungs-Lab“ steht am Dienstag auf der Website Kreuzberger Gentrifizierungskritiker. Nur zum Beispiel.

Wer es genau wissen will, kann nachschlagen, dass das Wort 1964 von der Soziologin Ruth Glass geprägt wurde. Ihr ging es um die Veränderungen im Londoner Stadtteil Islington. „Islington Diamonds“ – so nannte man das, wenn die Kristalle der eingeschlagenen Autofenster auf der Straße lagen. Gegen das, was man heute in Islington für eine Garage zahlt, sind deutsche Villenvororte Slums. Eigentlich hapert es bei uns sogar an der Gentry, die der Sache den Namen gab. Niederer Adel. Das Niedrigste, was unser Adel zu bieten hat, ist der Freiherr. Genau genommen müssten jetzt lauter kleine Guttenbergs durch Kreuzberg rennen, und an Kreuzberg grenzt nicht nur Neukölln, sondern auch Hamburg-Ottensen und das Glockenbachviertel in München, Köln-Ehrenfeld und das Nordend von Frankfurt. So wie ja auch Berlin-Grunewald und Grünwald bei München ein und dieselbe Stadt bilden. Und Steilshoop und Chorweiler und Hasenbergl eine deutlich andere.

Es sind aber keine kleinen Guttenbergs, die den Ärger machen. Den Ärger haben die Leute vielmehr mit Leuten, die fast genauso aussehen wie sie selbst. Manchmal sind sie sogar identisch. Und um Autos wird es auch noch gehen.

Die Solomon R. Guggenheim Foundation hatte mit den Bayerischen Motoren-Werken vorübergehend ein „Denklabor“ auf einer Baubrache an der Spree abstellen wollen. Es sollte über die Zukunft der Stadt geredet werden. Das hatte es in New York gegeben, das sollte es später in Asien geben, das wird es in Kreuzberg nun nicht geben. Warum wollen eigentlich alle immer dahin, wo es „spannend“ ist, wenn das doch nur heißt, dass es eben Spannungen gibt? Kreuzberger Gentrifizierungsgegner wollen keine Medienbauten an der Spree und haben den Guggenheim-Leuten ausreichend Angst gemacht. Jetzt freuen sie sich. Aber worüber? Dass die Brache demnächst dann eben mit Eigentumswohnungen bebaut wird, ohne dass vorher dort noch mal breit über das G-Wort debattiert werden kann?

Wenn noch mal einer mit dieser Gentri- anfängt, sollte man dem den Schaum vom Latte macchiato pusten, bevor er mit der -fizierung fertig ist. Denn im Kern geht es ums Kaffeetrinken. Der Grad der Gentrifizierung bemisst sich an der Qualität der Bohnen und der Schaumigkeit der Milch. Jedes Mal wenn da, wo Filterkaffee war, die Schäummaschinen fauchen, ist der Mietspiegel gestiegen. Latte macchiato (in den Kreuzbergen von Hamburg auch: Galão) ist das Feindgetränk der Gentrifizierungsgegner. Aber Filterkaffeetrinken ist unter diesen Umständen irgendwann wie Mittelalterrestaurants besuchen. Die Moderne kriegt man nicht in die Tube zurück.

Am Donnerstagmittag macht die Sonne in den Straßen von Kreuzberg allerdings, dass die Gläser mit dem Latte macchiato im Gegenlicht aussehen wie frisch gezapfte Biere. Alle sitzen draußen, denn der Maßstab urbaner Lebensqualität ist die Möglichkeit des genießenden Draußensitzens. Man könnte es an einem solchen Tag nicht mal einem Millionär verdenken, wenn er auch hier sitzen wollte. Und wer weiß schon, wie viele hier bereits sitzen, mit Kapuzenpullis als Kreuzberger verkleidet.

Ausgerechnet BMW soll der Motor der Gentrifizierung sein? Wer auch nur einmal in Kreuzberg war, wird wissen: Viel eher ist es der Motor der von den Gentrifizierungskritikern als potentielle Gentrifizierungsopfer unter Milieuschutz Gestellten. Generell kann man sich in Kreuzberg eigentlich nicht willkommener fühlen als in einem BMW; hier stößt man bei wesentlichen Teilen der Bevölkerung auf einen Respekt und eine Sachkenntnis, die proportional zur Größe von Hubraum und Felgen noch wachsen. Probleme hatte mal ein Kollege, der im SL vorfuhr. „Nimm die Schüssel weg, sonst pinkel ich dir rein“, hieß es da. Aber einen BMW kann man offen stehenlassen. Es ist die sozial durchlässigere Marke. BMW-Fahrer werden markensoziologisch gern als „Social Overtaker“ eingetütet. Dazu gehören in Kreuzberg aber nicht nur Migranten, die was wollen vom Leben, dazu zählt auch Ute, die ihr dunkelblaues Dreier-Cabrio vor einer Bar mit dem Namen „Molotow Cocktail“ parkt. Ute: In Kreuzberg geboren, aufgewachsen und mit Nachdruck zu Hause, unter dem Künstlernamen „Tutu“ Malerei im Stil von Keith Haring, das soll ich in der Zeitung erwähnen und das ist hiermit geschehen, sie will „reich und berühmt werden“; „Tutu“ sagt auch: Mist, dass die Mieten steigen. Mist, das mit der Verdrängung. Mist, dass die Großen die Kleinen fressen. „Zum Beispiel der ,Hasir‘.“

Starbucks wäre gentrifizierungstheoretisch praktischer. Es ist aber „Hasir“. Dass das nun ausgerechnet ein türkisches Lokal sein muss, das sich hier einen Laden nach dem anderen einverleibt, bringt das ganze schöne Narrativ ins Rumpeln.

Mit dem Kampf um die Stadt haben Linke und Linksradikale endlich wieder ein Thema, das wirklich auf den Leuten drückt. Die Mieten sind tatsächlich im Schnitt um zwanzig Prozent gestiegen zuletzt. Die Tricks, mit denen Häuser entmietet werden, um sie rentabler zu machen, werden tatsächlich angewandt. Selbst für mittlere Einkommen wird es schwer, sich in den zentralen Lagen mit den Altbauten, den kurzen Wegen und den Straßencafés zu halten. Wo heute eigentlich Krankenschwestern wohnen oder Polizisten, fragt schon lieber keiner mehr. Wenn dann lustige Leitartikler mit der Behauptung, „Veränderung“ sei doch das Wesen der Stadt und die Leidenschaft der Linken, sogar noch begeisterte Zustimmung zur eigenen Abschiebung einfordern: Dann wird eine gewisse Empörung nachvollziehbar. Dann taucht tatsächlich Friedrich Engels am Horizont wieder auf und die These, dass die „Wohnungsfrage“ der Schlüssel zur sozialen Revolte ist . . .

Aber kann sich Gentrifizierungskritik noch als links und emanzipatorisch betrachten, wenn sie sich zwangsläufig auch gegen wirtschaftlich ambitionierte Türken richten muss? Muss sich Gentrifizierungskritik nicht per Definition gegen Migranten richten? Oder schlicht: gegen die anderen?

Die Verdrängung von deutschen Ureinwohnern lässt sich zur Not immer als Akt des Antifaschismus rechtfertigen. Mit jeder altdeutschen Eckkneipe verschwindet ein Stammtisch mitsamt seinen Parolen. Aber was ist mit Claude, dem elfenhaften Sänger aus Kanada, den wir in dieser Zeitung vor einiger Zeit vorgestellt hatten? Der wird in den Graefekiez an der Grenze zu Neukölln erst zurückziehen, wenn die Gentrifizierung da wesentlich weiter ist; den haben homophobe arabische Jugendgangs erst einmal mit Eisenstangen von dort wieder vertrieben. Ist das dann die Art von „Milieuschutz“, die aus taktischen Gründen selbst den Stumpfsinn konserviert, wenn der die Wohnlage abwertet und die Mieten unten hält? Und lebte es sich in der Neuköllner Weserstraße wirklich besser, als die noch für die hohe Wahrscheinlichkeit von Überfällen berüchtigt war statt wie heute für krakeelende Spanier?

Touristenfeindlichkeit ist die Ausländerfeindlichkeit der gebildeten Stände, ausgerechnet die Spanier trifft die Abneigung derer, die ein paar Jahre vorher nach Berlin gezogen sind, augenblicklich am heftigsten. Und das nachdem sich jahrzehntelang Hekatomben von deutschen Erasmusstudenten bis zum Morgengrauen durch die Altstadtgassen von Barcelona und Madrid gefeiert haben. Tatsächlich befinden sich dank EU, kultureller Öffnung und Easy Jet zurzeit so viele Spanier auf deutschem Boden wie seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr. Etliche davon sehen auch noch genauso aus: Eine Marketenderin in zerrissenem Linnen steht am Freitagnachmittag for dem Kunsthaus Tacheles, wo seit zwanzig Jahren Hausbesetzer Souvenirs für Berlin-Touristen basteln, und ruft: „¿Quieres comida?“ Und ein bärtiger Landsknecht lässt aus dem Fenster ein Seil zum Hochholen herunter.

Man kann die Spanier verstehen: Berlin ist ihnen nicht nur ein Ibiza, eine Partyinsel und ein Hippieparadies, es ist auch ein Abenteuerspielplatz. Am Abend zuvor hatte der Eigner der Kunstruine einen privaten Sicherheitsdienst alle aus dem Haus tragen lassen, die keinen Mietvertrag haben. Jetzt stehen sich da an der Tür dicke Männer mit sehr wenig Haaren und dünne Männer mit sehr verfilzten Haaren gegenüber und verstehen sich nicht, denn die Securityleute berlinern, die Demonstranten sprechen Spanisch, und der Vereinsvorstand vom Tacheles klingt wie ein Karl Moik der Alternativkultur: Wer ein Tacheles habe, österreichert er, der brauche kein BMW-Guggenheim-Lab, um über die Zukunft der Stadt „noachzudenkn“.

In gewisser Weise stimmt das sogar.

Die einzige Relevanz, die das Kunsthaus Tacheles heute noch hat, besteht darin, Bauprojekte zu blockieren, für deren Nichtzustandekommen man dankbar sein darf. Aus Kreuzberger Sicht setzt auch das, was an der Spree bisher so hingesetzt wurde, die radikalen Kritiker jeder kommerziellen Spreebebauung zumindest ästhetisch ins Recht. Ihre Argumente mögen politisch fragwürdig sein, utilitaristisch betrachtet haben sie etwas für sich: Die Bockigkeit hält immerhin Räume frei, sicher nicht für immer, aber vielleicht bis etwas Besseres denkbar ist als der deprimierende Krempel, der da bisher abgeladen wurde, als sei das ein Gewerbegebiet irgendwo hinter Marzahn (die das dort im Übrigen auch nicht verdient hätten).

Das wird die Sache hinter dem G-Wort nicht aufhalten. Immobilienhändler können einem immerhin sagen, wann sie angefangen hat: mit der Fußball-WM 2006. Seitdem stürzt sich Kapital aus dem Ausland auf den deutschen Wohnungsmarkt. Seitdem wird in Berlin fast jede Wohnung, die frei wird, zur Ferienwohnung gemacht.

Seitdem ist die deutsche Hauptstadt dem Ziel, ein bisschen mehr wie London, Rom, Paris oder New York zu werden, wieder ein klitzekleines Stück nähergekommen. Und das wollen doch immer alle.

 

(Eine Version dieses Textes erschien im März 2012 in der FAS.)