Im Vorgarten der Botschaft von Nordkorea steht an diesem Tag eine Hebebühne, und eine Frau mit Pferdeschwanz streicht gewissenhaft den Fahnenmast neu an. Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil man dort sonst nie einen Menschen sieht, nur eisern zugezogene Vorhänge hinter sämtlichen Fenstern. Außerdem steht Nordkoreas Botschaftsgebäude, ein sachlicher Bau von DDR-Architekten, exakt dort, wo bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs das berühmte Luxushotel Kaiserhof stand, in dem Hitler seine Wahlkampfzentrale hatte, auch weil er von dort die schräg gegenüberliegende Reichskanzlei in den Blick nehmen konnte.
„Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei“ hieß deswegen ein Buch von Joseph Goebbels. Und „Station Kaiserhof“ hieß ursprünglich der U-Bahnhof, dessen Zugänge direkt davor auf dem Zietenplatz liegen. Also dort, wo der Reitergeneral von Zieten seit zweihundert Jahren die in Bronze gegossene Hand so nachdenklich ans Kinn legt, als käme er partout nicht auf den Titel des Liedes, das der junge Mann mit der Gitarre vor dem Supermarkt „HIT Ullrich“ auf der anderen Straßenseite gerade anstimmt. (Es ist „Come as you are“ von Nirwana.)
Wir lernen: Die Zeiten ändern sich, Geschichte lagert sich ab, Namen verschwinden oder kommen wieder – und wenn man es historisch ganz genau nimmt, dann müsste man die U-Bahnstation eigentlich nach dem Rechtsnachfolger des Hotels Kaiserhof benennen. Also: „Demokratische Volksrepublik Korea“.
Jetzt aber steht da an den Wänden in Schwarz auf Rot – es ist derselbe rote Stein, der einst in Hitlers neuer Reichskanzlei verbaut wurde – wieder der Name „Mohrenstraße“. Dabei ist die vor einem Monat schon umbenannt worden in Anton-Wilhelm-Amo-Straße. Aber darum gab es vorher viel Streit, und Streit gibt es darum immer noch…
Der vollständige Artikel erschien im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung am 13.10.25