Racker, wollt ihr ewig leben?

Smalltalk darüber, wie man möglichst gesund und möglichst lange lebt, ist eigentlich ja nichts Ungewöhnliches. Im Westen von Los Angeles oder im südlichen Prenzlauer Berg entfallen schätzungsweise die Hälfte aller Gespräche darauf. Und eigentlich gilt das Thema nicht als Grund zur Sorge, eher als Teil der Vorsorge. Trotzdem rollen geradezu Wellen des Grusels über den Globus, seit Wladimir Putin und Xi Jinping vor einer Woche am Rande einer Militärparade in Peking durch ein offenes Mikrofon dabei zu hören waren, wie sie über die medizinischen Aussichten auf die Unsterblichkeit des Menschen plauderten.

Der chinesische wie der russische Präsident sind immerhin jeweils 72 Jahre alt. Xis Bemerkung, dass Leute früher mit 70 als alt galten, heute hingegen fast noch als Kinder, ließ sich dabei noch als milde Selbstironie verbuchen. Als gespenstischer wurde Putins Entgegnung empfunden, „mit der Entwicklung der Biotechnologie“ könnten „menschliche Organe kontinuierlich transplantiert werden“, wodurch „die Menschen immer jugendlicher leben und sogar Unsterblichkeit erlangen“ könnten. Kein Wunder, dass das inzwischen rund um den Erdball und quer durch das Internet kommentiert wurde, meist in einem Sarkasmus, der ein Erschrecken zu bemänteln hatte. Die Referenzen aus dem Kulturbereich des Dystopischen sind aber auch reich.

Da ist, ganz aktuell, der aus Utah stammende, wie zu Lebzeiten schon einbalsamiert wirkende Tech-Millionär Bryan Johnson aus der Netflix-Doku-Serie „Don’t Die – Der Mann, der unsterblich sein will“. Da sind die deutlich ernster zu nehmenden Tech-Milliardäre Peter Thiel und Jeff Bezos, die ihrerseits massiv in Forschung investieren, die nach den Wegen zu Longevity, maximaler Langlebigkeit, sucht.

Da ist aber auch der Schriftsteller Don DeLillo, der in seinem Roman „Null K“ bereits vor zehn Jahren den Tod als „finales Investment“ von äußerst Wohlhabenden beschrieben hat, die sich freiwillig einfrieren lassen, um in einer biotechnologisch fortgeschritteneren Zukunft wieder aufzutauen. Schließlich gab es damals schon genug Leute, die das tatsächlich taten. Auf einer populäreren Ebene konnten einem Filme wie „In Time – Deine Zeit läuft ab“ sowie die Netflix-Produktion „Paradise“  in den Sinn kommen, in denen Lebenszeit als transferierbares Zahlungsmittel dient – mit den üblichen Umverteilungstendenzen von unten nach oben.

Was Putin und Xi über diesen sehr amerikanischen Kapitalismus der Lebenszeit noch einmal hinaushebt, ist allerdings die Machtfülle.

Ein paar Tage nach dem Geplauder über Verjüngung durch „kontinuierliche“ Organtransplantationen fühlte sich sogar einer der Vorsitzenden der internationalen Expertengruppe für die Einhaltung der Istanbul-Erklärung zu Organhandel und Transplantationstourismus veranlasst, sowohl die Einlassungen von Putin als auch die Aufregung danach im ZDF zu beklagen: „Es verstärkt das völlig falsche Bild zur Organtransplantation – vom Menschen als Ersatzteillager, welches benutzt wird, um denen, die es sich leisten können, Organe zu verpflanzen.“…

Der vollständige Artikel erschien am 12.9.25 in der Süddeutschen Zeitung und ist dort nachzulesen.