Die Frau, die das Lächeln erfand

Wer ist das denn, diese junge Frau mit dem Pinsel und der Palette und dem lässig geknüllten Tuch in den Locken? Warum hängt die da als Riesenplakat am Metropolitan Museum und lächelt – so offen und ungezwungen aber auch – in die Straßen den Upper East Side von New York hinein, als wollte sie „Da seid ihr ja“ sagen, oder: „Euch kenn ich doch.“

Wird sie auch zurückgekannt?

Vigée le Brun steht da. „Woman artist in Revolutionary France“. Nein?

Es ist keine Schande, wenn man den Namen nie gehört hat. Heute kennen die Frau auch in Europa, selbst in Frankreich, oft nur noch Spezialisten, obwohl sie in vielen Museen vertreten ist. Aber tragisch ist es trotzdem, denn Elizabeth Luise Vigée war eine herausragende Malerin, und zu ihrer eigenen Zeit wurde das auch so gesehen. Als die Kunsthistorikerin Linda Nochlin 1971 den berühmten Aufsatz „Why have there been no great women artists“ schrieb, da hätte Vigée streng genommen gar nicht vorkommen dürfen (tat sie aber, wenn auch nur in der Frage, wer von beiden eigentlich „weiblicher“ gemalt habe, sie oder der Kollege Fragonard). Denn Elizabeth Vigée le Brun war groß, sehr groß sogar. Keine strukturelle oder institutionelle Misogynie hatte sie dabei aufhalten können, groß, berühmt und ausgesprochen reich zu werden. Wenn sie einem trotzdem weder als Heldin des Feminismus noch der Kunstgeschichte besonders oft begegnet, dann hat das einen einfachen Grund: Sie war zwar eine Künstlerin im Frankreich der Revolution – aber sie stand auf der anderen Seite; sie war die Lieblingsporträtistin des Ancien régime, des Establishments, der adligen Machthaber und vor allem ihrer Gattinnen; mit dem Dasein als Frau in dieser Welt hat sie nicht erkennbar gehadert, eher im Gegenteil.

Das hat allerdings den Vorteil, dass man die Kunst der Vigée de Brun jetzt in einer ersten großen Überblicksausstellung – eine ähnliche gab es zuvor nur diesen Winter in Paris – nun nicht nur wiederentdecken, sondern eigentlich überhaupt zum ersten Mal in ihrer ganzen Breite entdecken kann. Dass das auf der Upper East Side passiert, erleichtert insofern den Einstieg und das Verständnis, als hier das Establishment von heute zu Hause ist: Leute, die nicht unbedingt adlig sind, aber namhaft und die sich mit der „Vanity Fair“ in Verbindung setzen, wenn sie finden, dass an ihrem öffentlichen Image etwas getan werden muss. Wenn sie Glück haben, schickt die Zeitschrift ihnen dann die Fotografin Annie Leibovitz vorbei, und über das Ergebnis spricht im Anschluss die halbe Welt.

Als in Versailles der Eindruck herrschte, die Popularität von Marie Antoinette als Königin und Mutter sei dramatisch verbesserungswürdig, wurde nach Madame Vigée le Brun gerufen.

Die Malerin war schwanger, als sie die unbeliebte Österreicherin malte, und als ihr bei einer Sitzung die Farben herunterfielen, sammelte die Königin sie wieder auf. So erzählt das Vigée jedenfalls in ihren Memoiren. Dass man die Geschichte so ähnlich (vor allem ohne Schwangerschaft) von Philipp II und Tizian zu kennen meint, die dabei ihrerseits auf Alexander und Apelles anspielten: Das ist natürlich kein Zufall. Es ist vermutlich die letzte klassische Künstlerlegende zur Nobilitierung der Malerei, bevor die Kunst sich für die Moderne in der Außenseiterpose der Bohème einrichtete. Ancien régime eben. Trotzdem hat die Geschichte „vraisemblance“, die damals so hochgeschätzte Eigenschaft der Wahrscheinlichkeit. Die beiden Frauen waren gleichaltrig, und es macht den Anschein, als wären sie sich nahe gewesen, sofern das der Standesunterschied zuließ. Dass Vigée überhaupt in die Situation kam, lag eher an entschieden bürgerlichen Dispositionen: Talent, Fleiß, Strategie. Vigée war 1755 in Paris geboren und hatte die Porträtmalerei von ihrem Vater gelernt, dann, weil sie als Mädchen vom Studium ausgeschlossen war, autodidaktisch perfektioniert, sie hatte, etwas voreilig, den Kunsthändler Jean-Baptiste Pierre le Brun geheiratet, der ein entfernter Abkömmling von Charles le Brun war, dem Hofmaler von Ludwig XIV., mit Geld nicht umgehen konnte, aber klugerweise die Bilder seiner Frau in Umlauf gebracht hat, so gut er konnte. Ihr kleiner Bruder wurde als Schriftsteller ihr Propagandist. So arbeitete Vigée sich bis nach Versailles hoch, wo sie die Porträts der Königin malte und danach die all der höfischen Satellitenexistenzen, sie war in Paris Mittelpunkt ihrer eigenen Salons und wurde mit Rubens und Van Dyck verglichen (auch von sich selbst), was nicht nur in Bezug auf den Status dieser herrschaftlichen Hofkünstler plausibel ist, sondern auch in künstlerischer Hinsicht. Was das heißt, kann man sich praktischerweise gleich schräg gegenüber in der Frick Collection vor Augen halten, wo sie in der ebenfalls sehr hinreißenden Ausstellung „Van Dyck – The Anatomy of Portraiture“ zur Zeit gerade zeigen, wie das, was heute gängige Porträtfotografenposen sind, damals mit dem Zeichenstift erst einmal ausprobiert und erfunden werden mussten: die Posen des Natürlichen, der überraschte Blick über die Schulter, der Momentchenmal-ich-seh-da-was-Blick zur Seite hinaus, all diese Zufälligkeitsfiktionen, mit der der steinsteifen Repräsentionsaufgabe „Wichtige-Leute-porträtieren“ damals Leben eingehaucht wurde.

Vigée le Brun hat das perfektioniert, und neben ihrem enormen Talent halfen ihr dabei natürlich auch die elitären Schäfermoden des Rokoko: Wer ihr zum Porträt saß, bekam von ihr seine Juwelen, Perücken und steifen Kleider verboten; stattdessen ließ sie Tücher, Turbane und weite, fließende Kleider a la grecque tragen. Es erinnert ein wenig an die zu Haarreifen umfunktionierten Sonnenbrillen, die Stoffturnschuhe und lässig in die Ecke geknautschten Céline-Handtaschen der Ladies, die sich auf der Madison Avenue zum leichten Lunch treffen.

Die, die heute in New York die „Vanity Fair“ nicht nur lesen, sondern selbst gelegentlich drin vorkommen, wissen, wie man auf einem roten Teppich steht und schaut. Die eingezogenen Wangen („Duckface“) von damals waren offensichtlich die wie aus freudiger Überraschung leicht geöffneten Lächellippen. Die Frisur, die man haben musste, waren dick und dunkelblond herumfliegende Landmädchen-Locken.

„Schauen Sie mal, das ist doch beides die gleiche Person“, sagt, richtig ein bisschen empört, eine Besucherin im Metropolitan Museum. Was soll man sagen?

(Korrekt wäre: Mitnichten, das eine ist die Herzogin Anna Potocka vor einem dekorativen Wasserfall, das andere ist Hyacinthe Gabrielle Roland, damals die Geliebte, später obwohl zweifelhafter Herkunft die Gattin von Lord Wellesley, Earl of Mornington. Beachten Sie bitte auch den grotesk überlängten Oberarm, den man gar nicht bemerkt, wenn man nicht drauf hingewiesen wird, weil eben alles so schön fließt und flutet…)

Die Dame hat ja recht. Aber dass die Porträtierten so gleich aussehen, überdeckt wie radikal anders sie damals ausgesehen haben müssen. Allein, dass sie lächeln. Heute fordert einen jeder Fotograf dazu auf, und gerade Amerikaner lassen sich die Gebisse „bleachen“ bis sie Sanitärwaren gleichen. Aber bis zu Vigée le Brun galt es als absolut unstandesgemäß, bäuerisch und unklug, in einer gesellschaftlichen Situation, also auch auf einem Porträt, die Zähne sehen zu lassen, schon weil die damals in der Regel übelriechende Ruinen waren. (Siehe hierzu: Colin Jones, „The Smile Revolution in Eighteenth Century Paris“, Oxford 2014!)

Vigées hochadlige Lächelmünder waren Dentalpflege mittels weißer Ölfarbe und für ihre Zeit eine kleine Revolution.

Vor der großen, der echten Revolution rettete Vigée hingegen ihren eigenen Lockenkopf umgehend durch Flucht nach Italien, wo sie den dort versammelten Adel malte, in Rom ein wenig mit Angelica Kaufmann konkurrierte, und schnell ein neues Vermögen zusammen hatte. Dann wiederholte sie das ganze in St. Petersburg und Moskau (ihre Werkliste liest sich hier wie eine Salonszene aus Tolstois „Krieg und Frieden“, und der Name Tolstoi steht natürlich auch mit drauf), dann dasselbe kurz in Berlin, schließlich der Schweiz, wo sie auch mal eine Naturszene mit echtem Volk versucht, was eher schiefgeht; da werden dann Alphörner in der Hand gehalten als wären es Tabakspfeifen. Irgendwann konnte sie auch wieder zurück nach Frankreich, wo sie mit der Entfremdung von ihrer Tochter, dem Alkoholtod ihres Bruders und dem Geschmack der Romantik konfrontiert war, bevor sie 1842 starb. Da war sie 87 und hatte es als sture Royalistin aus der Zeit Ludwigs XV. bis ins Industriezeitalter geschafft, in dem sie sich fremd fühlte. Wichtig war ihr, dass sie es besser gemacht hatte als ihre lebenslange Hauptkonkurrentin Adélaïde Labille-Guiard, der jakobinische Kulturfunktionäre das Hauptwerk zerstört hatten. Dass es ausgerechnet die französischen Revolutionäre waren, die nicht nur mit Vigées Motiven ein Problem hatten, sondern dezidiert auch mit dem Fakt, dass sie sich dieses Leben „als Frau“ herausgenommen hatte: Das wird sie in ihren Ansichten eher bestätigt haben. So fällt man durchs Raster einer auf Progressivität orientierten Kunstgeschichtsschreibung, hinterlässt aber in den Schlössern und Museen der Welt eine beachtliche Menge provozierend gesunden Lächelns.

(c) PETER RICHTER

Bis 15. Mai. Katalog 50 Dollar

Eine gekürzte Version dieses Textes erschien zuerst am 1.4.2016 im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung.