Natürlich ist das ein Ereignis, wenn ein Politiker plötzlich Kabarett macht. Ganz besonders dann, wenn der Politiker immer unter dem Verdacht stand, ein Kabarettist zu sein, der Politik macht. Es gibt Gründe, warum man Norbert Blüm auf einer Bühne stehen sehen will, wo er sich einen „Schlagabtausch“ mit Peter Sodann liefert, dem Schauspieler, der in der Rolle des unsympathischsten und schlechtestgelaunten aller „Tatort“-Kommissare zum Publikumsliebling geworden ist. Es ist auch nicht uninteressant, wer da wegen wem kommt, welches Publikum Blüm anzieht und welches Sodann, wer Wessi ist und wer Ossi, und woran man das heute noch erkennt. Man erkennt es
nämlich immer noch. Und auch wenn darüber alles Sagbare gesagt sein dürfte, Blüm und Sodann hätten vielleicht doch noch etwas hinzuzufügen, der eine war in den entscheidenden Jahren immerhin Minister, der andere gehört seit der Wende zu den erfolgreichsten und reichweitenstärksten Ostdeutschen. Blüm und Sodann, beide 71, gehen also auf Deutschlandtour mit einem „Ost-West-Vis-à-Vis“, und es gab wie gesagt ein paar Gründe dafür, dass die Premiere im Berliner Admiralspalast nahezu ausverkauft war.
Es ist nun nicht ganz einfach zu beschreiben, was denen, die leider nicht dabei sein konnten, da entgangen ist. Stellen Sie sich am besten starke körperliche Schmerzen vor: eine derart quälende Pein, dass Sie sich mit dem Kopf voran vom Rang ins Parkett stürzen möchten vor Verzweiflung. Stellen Sie sich das bitte vor – und Sie haben immer noch keine Ahnung, was für ein Horror das war.
Was geschah, war Folgendes: Blüm und Sodann schieben beim Betreten der Bühne jeweils so ein Rentnerwägelchen zum Dranfesthalten vor sich her. Sie singen „Im Frühtau zu Berge“. Blüm sagt: „Arbeide, Arbeide.“ Sodann sagt: „Das Wertvollste, das der Mensch besitzt, ist seine Arbeitskraft.“ Blüm sagt: „Die verscheisärn uns nach Strisch un Fade.“ Sodann liest ein Gedicht von Johannes R. Becher. Blüm sagt abermals: „Die verscheisärn uns nach Strisch un Fade.“ Kurze Zeit darauf sucht Sodann das Wort Inkontinenz: „Der macht in die Hose, wie heißt das denn?“ Blüm: „Impotenz?“ Sodann: „Inkonsequenz?“ Er erzählt von einer besonders widerlichen Talkshow. Es habe da gesessen der Philosoph Peter Schlotterdünn, nein: Schlotterdick. Und der Schröder. Und dann habe er, Sodann, gesehen, das war gar nicht Schröder, das war Ulla Schmidt. Darauf orkanartige Begeisterung im Saal. Fragen Sie bitte nicht, warum. Ich erzähle hier nur, wie es war.
„Sind Sie nicht der längste Arbeitsminister Deutschlands?“, fragt Sodann Blüm. Und Blüm steht auf und zeigt seine 1,65 Meter Körperhöhe. Später sitzen beide da und erzählen minutenlang Witze. Fritzchenwitze. Aber wirklich nur die bekanntesten. Und wer das nicht glaubt, glaubt sicher auch nicht, dass Blüm wie das Kasperle im Theater fragt: „Seid ihr alle daaa?“ Aber das Publikum antwortet: „Jaaaa“, und dann singen alle gemeinsam ein Lied und klatschen in die Hände dabei. Sie singen „Im Frühtau“, und sie singen die verbotene dritte Strophe von „Der Mond ist aufgegangen“. Die Rahmenhandlung ist nämlich die: Wir befinden uns im Jahr 2027 und in einem Altersheim, das „Wiederaufbereitungsanlage für Unjunge“ genannt wird. „Bundeskanzler Ackermann“ hat das Grundgesetz und die Bergpredigt wegen Wirtschaftsfeindlichkeit verboten, und ausgerechnet Stefan Aust vom „Spiegel“ hat eine Kampagne gegen das Lied von Matthias Claudius angezettelt. Das muss man nicht verstehen, man muss nur merken: Das Ansingen des Mondes hat hier eine ähnliche Widerstandsfunktion wie anderswo die drei Strophen Deutschlandlied. Blüm singt „Die Banken sind frei“. Ein Brüllen und ein Toben daraufhin. Auch Sodann nimmt die da oben mal ordentlich aufs Korn. Da bleibt kein Auge trocken. Da werden unbequeme Wahrheiten gesagt. Der Saal ist jetzt so weit, dass nur der Name Westerwelle fallen muss, und die Leute trampeln vor Vergnügen. Mehr muss gar nicht gesagt werden, und mehr wird auch nicht gesagt. Wenn das politisches Kabarett ist, dann ist das politische Kabarett die letzte Bastion gegen die Aufklärung, ein Hort der Finsternis und Gedankenfäule. An jedem vorstädtischen Eckkneipenstammtisch wird differenzierter und nebenbei auch lustiger argumentiert. Von einer NPD-Versammlung unterscheidet sich diese Veranstaltung im Grunde nur dadurch, dass NPD-Mitglieder wenigstens wissen, dass sie rechtsradikal und ressentimentgetrieben sind. Der arme Norbert Blüm: eine demoskopische Katastrophe auf zwei Beinchen, mühevoll die dürren zwanzig Prozent Redeanteil zusammenbrabbelnd gegen einen schulmeisternden Peter Sodann: „Nobbi, die Pointe ging im Applaus unter, erzähl den Witz bitte noch mal.“ Und Nobbi macht es! Erzählt noch mal, dass die SED auf dem Wildwechsel-Zeichen der DDR kein springendes Reh duldete, wegen der Mauer und so. Wenn man seine Ohren nach innen krempeln könnte, dann jetzt. Oder es deutet sich kurz der einzige substantielle Moment des Abends an, Blüm möchte von 1998 erzählen, vom Machtwechsel, er sagt „Machtwechsel gehören zur Demokratie“. Und Sodann: „Da stehste wohl drauf?“, und: „Na, wenn du meinst . . .“
Wenn man aus diesem Abend eines mit nach Hause nehmen darf, dann das: Blüm ist bedauernswert – Sodann ist beängstigend. Sodann spielt den misanthropischen Meckertrottel im „Tatort“ nicht nur, er ist es. Sodann kann gar nicht schauspielern, er kann nur sich selbst. Peter Sodann kann noch nicht einmal verständlich sprechen. Sodann ist eine selten so kompakt anzutreffende Verdichtung von Talentlosigkeit, Einfältigkeit, Arroganz, Selbstgerechtigkeit, Besserwisserei, Neid, Ressentiments, Borniertheit, Taktlosigkeit und Larmoyanz. Sodann hat alles, was man Ossis so vorwirft, plus das, was Ossis an Westlern hassen. Sodann ist ein One-Man-Kabarett, er weiß es nur nicht. Er ist das Antlitz des hässlichen Deutschen, der sich für etwas Besseres hält. Peter Sodann ist ein Tritt ins Gesicht aller Ostdeutschen, mit deren grundgesetzlich garantierter Menschenwürde es nicht vereinbar ist, von jemandem wie ihm dauernd als unterhalb aller messbaren IQ-Werte herumnölender Sozialschrott repräsentiert zu werden. Sodann und Blüm schaffen es, dass man Ackermann gar nicht mehr so schlimm findet. Sodann alleine schafft es, dass man sich schämt, Sachse zu sein.
(Dieser Text erschien zuerst am 9.9.2007 in der FAS)