Man hat nicht oft die Möglichkeit, direkt nach dem Kino ins Museum zu gehen, um sich die Hauptfigur noch einmal in Ruhe anzuschauen. Und umgekehrt. Vor allem hat man die Möglichkeit nicht überall.
Gustav Klimts „Adele Bloch-Bauer I“ hängt jetzt seit fast zehn Jahren in der Neuen Galerie in New York. Zum amerikanischen Filmstart von „Woman in Gold“ haben sie ihr aber noch eine kleine Sonderausstellung hinzugefügt, die zeigen soll, wie Adele Bloch-Bauer erstens zu ihrem berühmten Porträt kam und zweitens das Gemälde schließlich in die USA. Ein zentraler Teil dieser Geschichte ist, dass sie in Wien spielt, wo das Werk jetzt in ihrem Ergebnis eben nicht mehr ist.
Der Wiener Maler Gustav Klimt malte 1907 also Adele Bauer, die junge Frau seines wichtigen Kunden Ferdinand Bloch, Zuckerfabrikant und Kunstliebhaber. Sie entstammt einer Bankiersfamilie. Der Doppelname, den sie als Ehepaar führen, repräsentiert gleich zwei Erfolgsgeschichten des jüdischem Großbürgertums im K.u.K-Österreich. Gustav Klimt steht in dieser Phase seines Werkes massiv unter dem Eindruck der goldglänzenden byzantischen Mosaiken, die er in San Vitale in Ravenna gesehen hat. Er gibt das Porträt der Fabrikantengattin folglich versunken in einen Seerosen-Teich aus Blattgold als eine Art Jugendstil-Variante von Kaiserin Theodora I. Der Titel „Adele Bloch-Bauer I“ hat insofern zwar etwas Passendes, ist aber Zufall: Ein paar Jahre später, Klimt war inzwischen aus der Gold- in eine intensive Farbphase gewechselt, malte er ein weiteres Bildnis von ihr, „Adele Bloch-Bauer II“. Wie eine Kaiserin muss die Porträtierte damals allerdings tatsächlich über dem Kulturbetrieb von Wien gethront haben. Die Salons in der Wohnung der Bloch-Bauers waren prominent besucht; es war die „Welt von gestern“ des Stefan Zweig, der dort ebenfalls zum Umgang gehörte.
Dass der Maler und sein Modell eine Affäre miteinander gehabt haben sollen, das hat eine verzückte Nachwelt gelegentlich aus dem Bild herausgelesen haben wollen, aber dafür gibt es keinerlei Belege. Es ist nicht mal besonders wahrscheinlich. Belegt sei dafür aber – behauptet jedenfalls der Katalog, leider ohne es tatsächlich zu belegen – dass die beiden Klimt’schen Porträts von Adele Bloch-Bauer zusammen noch 1934 bei einer Schätzung auf lediglich 200 000 tschechische Kronen taxiert wurden. Wieviel auch immer das in heutigen Dollars gewesen sein mag: Ein etwas süßliches Bauernstück des Biedermeier-Malers Ferdinand Georg Waldmüller aus dem Besitz der Bloch-Bauers war alleine schon genauso viel wert damals. „Mehr Blech als Bloch“ hatte der Kunstkritiker Eduard Pötzl im Neuen Wiener Tagblatte gemault, als „Adele Bloch-Bauer I“ der Öffentlichkeit präsentiert wurde. (1908 auf der Kunstschau in Wien, und davor schon 1907 auf der Internationalen Kunstausstellung in Mannheim, und zwar wie eine Madonna eingerahmt durch zwei knieende Knaben von George Minne; dieses Arrangement wurde jetzt in New Yorker noch einmal rekonstruiert.)
Die inzwischen fast religiöse Klimt-Verehrung hat also selbst in Österreich ihre Zeit gebraucht, und vieles, worauf das Land heute zu Recht stolz ist, wäre ohne wohlhabende und kulturell aufgeschlossene Klienten wie eben die jüdische Familie Bloch-Bauer gar nicht erst in die Welt gekommen. Das ist das eine, das man daraus entnehmen könnte.
Das andere berührt das Problem, dass Porträts auf dem Kunstmarkt zunächst einmal immer etwas Heikles haben, weil sie so eng mit dem Porträtierten verbunden sind: Um sich jemand Fremden an die eigene Wand zu hängen, muss schon der Kunstwert des Kunstwerks als groß genug gelten, um die Person der Dargestellten zu überschatten. Die Frage ist: Wann und wie geschieht diese Art der Ablösung. In Ravenna liegen anderthalb Jahrtausende zwischen der Vergötterung einer byzantinischen Kaiserin durch ein Mosaik und der Vergötterung dieses Mosaiks durch den Maler Gustav Klimt. In Wien ging es deutlich schneller, bis das Bildnis der Adele Bloch-Bauer als Nationalheiligtum betrachtet wurde, während die Dargestellte mit ihrer Familie in jeder Hinsicht zum Verschwinden gebracht wurde. Aus „Adele Bloch-Bauer I“ wurde „Bildnis einer Dame vor goldenem Hintergrund“, im Volksmund „Frau in Gold“, bevor eines Tages wiederum „Adele Bloch-Bauer“ daraus wurde und der Volksmund nun jovial „Adele“ dazu sagte wie zu einer diesem Volk immer schon besonders ans Herz gewachsenen lieben alten Tante.
Dies ist jetzt der perfide und schmerzhafte Teil der Geschichte. Formal geht er so: Die Porträtierte stirbt 1925 an einer Meningitis und hat zuvor den Wunsch festgehalten, ihr Mann möge ihre Bildnisse nach seinem Tod der Österreichischen Galerie im Belvedere übereignen. Der ist aber als Besteller auch der eigentliche Eigentümer der Bilder, und als die Familie nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland ihrer Kunstschätze beraubt, zum Teil zur Flucht gezwungen, zum anderen Teil in den Holocaust geschickt wird, bedenkt Ferdinand Bloch-Bauer in seinem Testament natürlich nicht ausgerechnet den Staat, der die Klimt-Gemälde bereits auf eigene Faust ins Belvedere schleppen lassen hat. In der Neuen Galerie sieht man das Foto des dafür zuständigen Nazi-Anwalts, ein Mann mit Corps-Studenten-Schmiss und dem Namen Erich Führer. Man sieht die Fotos der Herren im Belvedere, die nach dem Krieg die Klimts nicht wieder hergeben wollten. Und man sieht das Foto einer alten Dame, die Maria Altmann hieß, eine emigrierte Nichte von Adele Bloch-Bauer war, und Ende der Neunziger von Los Angeles aus den Kampf um die Gemälde aufnahm, die sie als ihr Erbe betrachtete. Man sieht Hubertus Czernin, den Wiener Journalisten, der ihr aus moralisch aufgefasstem Patriotismus dabei half. Und man sieht Randol Schoenberg, der ein Enkel des ebenfalls aus Wien vertriebenen Komponisten Arnold Schönberg ist und als junger, in Restitutionsfragen eigentlich unbeleckter kleiner Rechtsanwalt den lange aussichtslos scheinenden Kampf der Maria Altmann gegen die Wiener Behörden bis vor den Supreme Court der USA brachte und schließlich zu einem Sieg machte.
Dies ist, mit anderen Worten, der Teil der Geschichte, von dem man annehmen sollte, dass er sich besser im Kino erzählen ließe.
Aber dazu hätte vielleicht jemand wie Thomas Bernhard das Buch schreiben müssen, dann würden die Österreich-Beschimpfungen wenigstens sitzen.
Das, was der Theater-Autor Alexi Kaye Campbell da verfasst hat, kann unter der Regie von Simon Curtis selbst von einem internationalen Schauspieler-Heer nur ganz selten mal über das Niveau jener Spielszenen gehoben werden, mit denen üblicherweise Geschichts-Dokumentationen im History Channel oder in Guido Knopps ZDF anschaulich gemacht werden sollen. Das ist sicher nicht die Schuld der Schauspieler. Die große Helen Mirren hätte sich im Prinzip sogar einen Oscar verdient dafür, den belehrenden Zeilen der Maria Altmann mit harrschem deutschen Akzent nicht nur Leben, sondern eine regelrecht einschüchternde Vitalität verliehen zu haben. Ryan Reynolds spielt den Anwalt Randol Schoenberg so khakihosig und überfordert, wie der, nach allem, was man weiß, damals auch in den Fall gestolpert ist. Katie Holmes füttert als seine Frau verständnisvoll die Kinder und stört ihn sowie den Film ansonsten nicht weiter. Und Antje Traue, die man in Amerika bisher vor allem als Action-Heldin kennt, scheint als Adele Bloch-Bauer unter ihrer blühenden Schönheit immer schon traurig das böse Ende zu ahnen. Selbst Daniel Brühl gibt sich Mühe, die Gewissenhaftigkeiten des Wiener Journalisten Czernin mit angemessenem Engagement aufzusagen. Aber spüren lassen, um was es eigentlich geht? Was auf dem Spiel steht? Was die Leute wirklich treibt? Schwierig.
Eine Zeitung, die dort erscheint, wo das Unheil herkam, ist möglicherweise nicht der ganz ideale Ort, um zu bewerten, ob dieser Hollywood-Film den Kunstraub durch die Nazis und den qualvollen Prozess der Restitution nicht irgendwie besser hätte darstellen können. Aber das Urteil der amerikanischen Kritik ist aber ziemlich deutlich: In einer überpädagogischen Angst, dem eigentlich als hinreichend erwachsen einzuschätzenden Arthouse-Publikum dieses Films könne auch nur minimaler Raum für einen Zweifel an der Berechtigung von Maria Altmanns Ansprüchen gelassen werden, bekämpfe er den Antisemitismus von damals mit einer gleichermaßen giftigen Pauschalkarikatur der modernen Österreicher als rechtsverdreherische, kunsträuberische Monster. Heißt es zum Beispiel in „Variety“.
es vielleicht hilfreich gewesen wäre, das Großdeutsche Reich in diesem Film nicht auch noch über dessen Ende hinaus zu verlängern und Österreichs Amtszimmer ausgerechnet mit Schauspielern aus Deutschland zu besetzen. So bekommen es Mirren und Reynolds mit norddeutscher Barschheit und Arroganz zu tun, wo Altmann und Schoenberg eigentlich immer über eine Art morastigen Charme geklagt hatten. Selbst Olivia Silhavy, obwohl immerhin tatsächlich Wienerin, darf die damalige Kulturministerin Elisabeth Gehrer nur so spielen, als hätte die diesen Job lieber in Berlin gehabt. Von Maria Altmann weiß man aber, dass sie einst mit Gehrer lange bei Kaffee und Kuchen Freundlichkeiten über Gott, die Welt und die Aufzucht von Enkelkindern austauschen musste, nur damit das Gespräch möglichst nicht auf die Adele kam, auf das von beiden Seiten aus unterschiedlichen Gründen so begehrte Gemälde.
Woher aber nun diese Begehrlichkeit? Wovon werden die Protagonisten und ihr Konflikt angetrieben, im Film wie in der Wirklichkeit?
Das Geld sei es jedenfalls nicht, erklärt der Film so oft und so überdeutlich für Maria Altmann, dass am Ende selbst an ihr, die ihren Gewinn aus dem Verkauf des Gemäldes in des Kosmetik-Erben Ronald Lauders Neue Galerie in New York für kulturelle und wohltätige Zwecke gespendet hat, noch etwas von dem Vorwurf hängen bleibt, der eigentlich ja durch das Leugnen erst so richtig einer wird. Wenn ihr denn das Bild zusteht, warum dann nicht auch dessen Wertgewinn? Selbst im Fall von Randol Schoenberg wird eher verdruckst deutlich gemacht, dass er mit einem Gewinn kalkuliert und deshalb seine gesamte berufliche und private Existenz an den Fall hängt. Amerikanische Restitutionsanwälte machen sich die Mühe nicht ausschließlich aus moralischen Motiven? Ja, und?
Es sei Maria Altmann um das Bewahren der Geschichte gegangen und um schiere Gerechtigkeit. Das muss man auch nicht anzweifeln. Für die Gegenseite lässt das als Motivation aber hier praktisch nur Raubgier, Leugnung der Geschichte und notorische Ungerechtigkeit zu, letztlich: fortgesetzten Judenhass. Ist, wie man leider weiß, auch nicht immer ganz aus der Luft gegriffen. Aber reicht das, um zu erklären, weshalb sie in Österreich damals mit allen Mitteln, die sie finden konnten, versucht haben, diesen speziellen Klimt zu behalten? Weshalb sie so daran hingen, quer durch die Lager, selbst als sich abzeichnete, dass die Ansprüche nicht nur ethisch, sondern auch rechtlich fragwürdig waren. Es könnte zum Beispiel sein, dass eben Klimt bei alldem vielleicht doch eine größere Rolle spielt, als ihm im Film eingeräumt wird, wo er nur ganz am Anfang und ganz am Ende mal durchs Bild huscht. Diese ganze Kultur, die Leute wie die Bloch-Bauers damals in ihren Salons versammelten und die deren Erben mit den Österreichern von heute teilen – und die Österreicher im Zweifel per Gerichtsbeschluss mit ihnen. Es könnte sein, dass auf eine verwickelte Weise das schlechte Gewissen eine Rolle spielt, der Wunsch, gewissermaßen an sich selber gutzumachen, was dieser Kultur 1938ff. angetan wurde. Da müsste man vielleicht die vielen Nachfahren des Dr. Freud mal fragen, der ja Teil dieser Kultur war. Nicht, dass das etwas rechtfertigen würde. Aber Hollywood, das hat man letztes Jahr bei George Clooneys „Monuments Men“ schon sehen müssen, hat offensichtlich generell Probleme, das ganze Bild zu erfassen, wenn es die Konflikte um die Kunst verhandeln will, ohne das, was es behauptet, wirklich auch zeigen zu können: die Faszination der Kunst als Kulturgut (und nicht nur als Sachwert).
Es könnte also sein, dass man, um tatsächlich direkt aus dem Kino vor den Klimt in der Neuen Galerie rennen muss, um die Geschichte halbwegs zu verstehen, in jenes Haus, das so sehr zum jüdischen New York gehört wie es überwiegend nichtjüdische Künstler Österreichs und Deutschlands aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert feiert.
PETER RICHTER
Eine kürzere Version dieses Textes erschien zuerst am 8.5.2015 im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung