American Whiskey Trail

Der American Whiskey Trail ist eine Reiseroute zu den wichtigsten Brennereien Amerikas. Man lernt dabei zwangsläufig etwas über Whiskey. (Es handelt sich im wesentlichen um destillierten Mais, außerdem werden benötigt: Roggen, Gerste, Wasser, Hefe, Holz sowie Geduld.)

Vor allem lernt man aber etwas über Amerika.

Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass es Orte gibt in den USA, wo die Prohibition nie aufgehoben wurde?

„Bis zum nächsten Landkreis in die eine wie in die andere Richtung keine Kneipe, keine Bar, kein Restaurant“, sagt Debbie und zeigt dabei mit dem linken Zeigefinger nach rechts und mit dem rechten nach links. Es kann sein, dass sie vermeiden will, in dieser Sache wie eine Flugbegleiterin zu wirken, die auf die Notausgänge hinweist. So sieht es vielmehr aus, als halte sie zwei rauchende Colts vor die Brust. Die Frauen in der Country Hall of Fame drüben in Nashville machen auf ihren Plakaten oft einen ähnlichen Eindruck: Mütterliche Typen mit großer Frisur und Waffenschein. Debbie muss ziemlich häufig über Kreuz nach links und rechts zeigen am Tag. Hunderttausende Besucher pro Jahr, und fast alle staunen, dass das Alkoholverbot in Lynchburg, Tennessee, bis heute gilt.

Erstaunlich ist das vor allem deshalb, weil Debbie die Frau ist, die auf der Besucherterrasse der weltbekannten Destillerie Jack Daniel’s die Cocktails mixt. Während sie also einen strammen Manhattan macht, erklärt Debbie: „Lynchburg ist eine trockene Stadt“. Man muss dazu sagen, dass trocken, also „dry“ bei ihr so klingt, als gurgele sie mit besonders scharfem Mundwasser: „draah!“.

Das ist der ortsübliche Dialekt. Erst eine halbe Stunde vorher hatten wir Jeff Arnett, den Master Distiller von Jack Daniel’s über den Roggenanteil in seinem Whiskey reden hören, und Roggen, also rye, klang bei ihm wie „raah!“.

Rye und dry, raah und draah, verhalten sich in dieser Gegend wie gereimte Antworten aufeinander, die Frage ist immer nur die Reihenfolge. Im Augenblick sei ein hoher Roggenanteil im ansonsten von Mais dominierten Whiskey Amerikas wieder stark im Kommen, war von Jeff Arnett zu erfahren.

Daraufhin hatte ein Bierkritiker aus Los Angeles seinen buschigen Kris-Kristofferson-Bart an die Wange des Meisters gedrückt und ein Selfie gemacht. Denn die Master Distillers sind die Popstars auf dem American Whiskey Trail, und für den Mann aus dem kosmopolitischen Los Angeles, wird die Tour sogar damit enden, dass seinem Bart ein patriotischer Lobgesang auf das ländliche Herz Amerikas entfährt, also das, was sie an den Küsten sonst gern als „Fly-Over-Country“ bezeichnen, als Provinz tief unter dem Flugzeugboden. Auch dies ist ab sofort zu den Folgen hochprozentigen Alkoholkonsums zu rechnen.

Zum ersten Mal gehört hatten wir von diesem American Whiskey Trail zur Vorweihnachtszeit, und zwar ebenfalls aus dem Mund so eines bärtigen Urbaniten, nur diesmal einem aus New York. Der Mann war zu einem Adventstee erschienen, hatte den Tee aber Tee sein lassen und stattdessen eine Flasche Bourbon auf den Tisch gestellt. Er hatte den Trail absolviert, er wusste nun Wissenswertes zu berichten: der Name Bourbon verlange nach mindestens 51% Maisanteil und leite sich – vermutlich – vom Bourbon County in Kentucky ab, Bourbon aus Tennessee hingegen heiße Tennessee Whiskey hieße.

Ob er Eis wolle, wurde der junge Mann unterbrochen. Und der sprach daraufhin einen in jeder Hinsicht enorm amerikanischen Satz: „I’d like to think of myself as a neat guy, but…you know… “. Er hätte sich gern als einer der Kerle gesehen, die das Zeug pur runterkippen, aber mit zwei Würfeln Eis war es ihm dann doch lieber. „On the rocks“ klingt ja immerhin auch irgendwie nach Rock’n’Roll.

Whiskey ist heute ganz offensichtlich der Rauschebart unter den Getränken, ein maskulines Accessoire für junge Großstadtbewohner, die ihre Tätigkeiten am Laptop mit dem Habitus von Holzfällern und Rockern würzen. Aber manchmal muss diese Kernigkeit halt noch ein bisschen heruntergewässert werden, damit keiner hustet. Eine ganze Generation von jungen Amerikanern hat sich das Whiskeytrinken in den letzten zehn, fünfzehn Jahren erst wieder aneignen müssen, so wie die gleichaltrigen Deutschen das Trachtentragen beim Oktoberfest.

Um die Jahrtausendwende war Whiskey praktisch am Ende, out, unmodern und höchstens noch bei Leuten populär, die tatsächlich als Holzfäller oder Rocker arbeiten. Brennereien gaben das Geschäft auf, und die ganze Welt schien, wenn überhaupt, eine Spirituose zu bevorzugen, die nach möglichst wenig schmeckte; es war die große Zeit von Wodka. Heute hingegen gibt das Distilled Spirits Council in Washington für den amerikanischen Whiskey Verkaufskurven heraus, die zwischen 2002 und 2015 so steil nach oben zeigen, dass man Nackenstarre kriegt vom Hinschauen.

Das Distilled Spirits Council of the United States, kurz DISCUS, ist die nationale Lobby-Organisation der Spirituosenhersteller. Vor ein paar Wochen fand man dort, dass es hilfreich sein könnte, die Presse mit dem American Whiskey Trail vertraut zu machen, bärtige Getränke-Experten aus Los Angeles genauso wie die Ahnungslosen aus dem Ausland, denn selbst in London, Buenos Aires und München fließt inzwischen jeden Abend – gunkgunkgunk – mehr Bourbon in die Cocktailgläser als in allen Staffeln von „Mad Men“ zusammen. In welchem Zusammenhang Werke der Popkultur wie diese Fernsehserie mit der Konjunktur bestimmter Spirituosen stehen, darüber kann man nur spekulieren. Aber wie und wo der Bedarf gedeckt wird, das kann man sich ansehen, das kann man schmecken, und das kann man vor allem riechen.

Wahrscheinlich ist es unvermeidlich, dass so eine Tour eher nach fröhlicher Sause klingt als nach seriöser Recherche. Schon deshalb haben wir die Einladung stolz ausgeschlagen, sind dann aber eigene Kosten doch mitgefahren. Das gibt jetzt nämlich die Freiheit, mit folgender Wahrheit nicht hinter dem Berg halten zu müssen: Es ist insgesamt sogar ein großer Spaß, aber es ist nicht durchgängig die reine Freude. Whiskeys zu probieren kann auch eine Herausforderung sein, wenn man in der Mittagssonne des amerikanischen Südens vor das erste Gedeck gesetzt wird, und wer sich zur Frühstückszeit über die wabernde Maische in den Fermentierbottichen beugt, braucht einen stabilen Magen. Die letzten, die man um diese Tageszeit schon dermaßen im Alkoholdunst gesehen hat, waren die Indianer, die in New Mexico vor den großen Supermärkten herumliegen, weil in ihren Reservaten aus gutem Grund das Trinken verboten ist; das Feuerwasser der Europäer hat die Ureinwohner noch nachhaltiger fertig gemacht als ihre Feuerwaffen. Aber es nützt ja nichts. Das hier ist nicht in erster Linie eine Vergnügungsreise, sondern eine ins Herz Amerikas mit all seinen Widersprüchen und Ausnahmen.

Dass den Besuchern der Jack Daniel’s Destillerie Whiskey verkauft und sogar ausgeschenkt werden darf, beruht zum Beispiel auf einer Sondergenehmigung des Senats von Tennessee. Debbie, die daher hier Manhattans reichen darf, bekommt wie alle 500 Angestellten von Jack Daniel’s jeden ersten Freitag zusammen mit dem Lohn eine Diputatsflasche, die zwar zu Hause trinken dürfe, aber lieber in das Hackfleisch ihrer Hamburger gießt. Schmecke folgendermaßen, sagt sie, und dann küsst sie Daumen und Zeigefinger. Außerhalb der Destillerie ist es in der Jack-Daniel’s-Stadt Lynchburg zwar verboten, Whiskey zu trinken, nicht aber ihn zu essen: Es gibt hier Whiskey-Eiscreme und „tipsy cakes“, beschwipste Torten. Diese Verhältnisse ließen sich durch Abstimmung ändern, wenn die Mehrheit dafür wäre. „Aber soviele Leute, wie dafür nötig wären, leben hier gar nicht“, erklärt die herrliche Debbie.

Zweitens würden die, die hier leben, es schon genau deswegen nicht ändern. Das wenig einladende Kneipenverbot sorge dafür, dass Lynchburg heute noch so klein und grün und biedermeierlich in den Wäldern liegt wie zu der Zeit als Jacob, genannt Jack, Daniel Mitte des 19. Jahrhunderts hier mit dem Whiskeybrennen anfing. Man darf sagen, dass „Mitte des 19. Jahrhunderts“ generell ein Daseinsideal in dieser Region zu sein scheint.

Dass Prohibition im Kern eine konservative Idee ist, kann man nachlesen, wenn man will. Aber wer will das schon, wenn man dabei tief in der Historie auf eine sonderbare Nähe der Damen von der ehrenwerten Anti Saloon League und den Herren vom nicht ganz so ehrenwerten Ku Klux Klan stößt, die einem beim Genuss der Idylle – und Lynchburg ist eine Idylle – am Ende eher im Weg stünden. Vielmehr ist es so, dass sogar die alte Flagge der Südstaatenarmeen geradezu angemessen folkloristisch wirkt, die auf dem Mitarbeiterparkplatz der George Dickel Destillerie an einem Auto dort prangt, wo andere ihr Nummernschild haben.

Als wir uns bücken, um ein Erinnerungsfoto anzufertigen, murmelt einer aus der Gruppe lakonisch „Welcome to old Dixie“ in seinen Vollbart. (Der Bierkritiker aus L.A.?) Man kann sicherheitshalber davon ausgehen, dass bei der Herstellung von Whiskey nicht unbedingt die gleichen gesellschaftspolitischen Überzeugungen herrschen, mit denen er in den Bars von New York oder Kalifornien getrunken wird. Aber wenn man sich anschaut, wo die meisten „trockenen“ Landkreise der USA heute noch liegen, dann ist es eben doch erstaunlich, wie zielsicher man in den beiden Bundesstaaten landet, die auch den meisten Whiskey produzieren, Kentucky und Tennessee. Es ist der Landstrich, wo der Süden an den Mittelwesten stößt. Zwei konservative Regionen reichen sich hier die Hand in strenger Religiosität: Das Whiskyland ist sozusagen die Gürtelschnalle des Bible Belt. Es hat in der Thronfolge der Master Distiller, die auf den großen Jack Daniel gefolgt sind, zwischen 1962 und 1964 sogar das Interregnum eines frommen Abstinenzlers gegeben. Jess Gamble hieß der, das offiziellen Foto zeigt einen schlecht gelaunten Doppelgänger von Wojciech Jaruzelski. Man kann ihm die sauertöpfische Miene nicht verdenken: Whiskey verschiedener Fässer zu einem konsistenten Geschmack zu verblenden, ist schwierig, wenn man wirklich trocken bleiben will. Man kann ihn nach dem Probieren ausspucken, aber einatmen muss man den Alkohol doch. Der Sprit wabert hier durch die Luft wie anderswo der heilige Geist zu Pfingsten. Er hängt über den Maischbehältern und den Brennereien, und über den Lagerhäusern hängt er erst recht. „Angel’s Share“ nennen sie das, was über die Jahre aus den Fässern verdunstet, den Anteil der Engel, und wo der Holzaromen wegen besonders heiß gelagert wird wie bei Woodford Reserve beträgt der Anteil der Engel bis zu fünfzig Prozent. Wir sehen doch überall diesen Schimmelpilz, der sich vom Alkohol in der Luft ernährt und die Häuser schwarz färbt, Fachname Baudoinia compniacensis, und ehrlich gesagt sieht das sogar sehr stimmungsvoll aus: all diese mattschwarzen Fabriken des Geschmacks zwischen rollenden grünen Hügeln.

Nach der fünften oder sechsten davon identifizieren wir uns mit diesem Pilz. Wir sind ebenfalls überall, beugen uns über alles, und überall ist es im Prinzip gleich, aber im Detail eben nicht, und das macht vor einem trainierten Gaumen die himmelweiten Unterschiede.

Fast immer stammt das Haus aus der Zeit vor der Prohibition, dann entweder Zwangspause oder illegale Produktion, danach Neubeginn, Erfolg, Whiskeykrise um 2000 und Whiskeyboom heute. Fast jedes Mal ist der Master Distiller ein Patriarch aus der Gründerfamilie, mit der Ausnahme von Alissa Henley (George Dickel), die in der Besucherbetreuung angefangen hat, und Jeff Arnett (Jack Daniel’s), der als Lebensmittelchemiker vorher auf den Fachgebieten Kaffee und Kartoffelchips tätig war. Aber ohne Ausnahme sind diese Master Distiller große Darsteller ihrer Kunst als auch des Southern Drawl, der breiten Mundart des Südens. Wer glaubt, es gehe zu wie in der Werbung, also mit nordseeküstenhafter Maulfaulheit und im Schaukelstuhl auf der Veranda, weil nun mal Geduld und Reifezeit die Hauptzutaten für einen guten Whiskey seien: Nein. Die Leute reden wie Schnellfeuergewehre auf einer Shooting Range, und am liebsten reden sie über die traditionsgesättigten Qualitäten des eigenen Tuns. Sie sind so gesehen eher die Sachsen Amerikas.

Die wichtigsten Vokabeln lauten „handgemacht“, „unverändert“, „immer schon“ und „authentisch.“ Entweder ist die Rezeptur original und über hundert Jahre alt, oder sie stammt wie die von Woodford Reserve zwar erst aus den Neunzigern, aber dann sind immerhin die Produktionsstätten die ältesten in Kentucky, und die Maisch-Bottiche sind aus Holz, wie zur Zeit der Pioniere, auch wenn das bei der Reinigung mehr Arbeit macht. Wir besichtigen: Brennblasen aus Kupfer, Holzkohlefilterung (die Besonderheit des Whiskeys in Tennessee, eine Technik, die angeblich durch die Sklaven aus Afrika vermittelt wurde), Lagerhäuser mit konstanten Temperaturen und solche mit wechselnden. Sowie, ganz zentrale Sache, Fässer aus frischer Eiche, die nach den Zeitvorgaben der jeweiligen Brennmeister erst getoastet und dann angekokelt werden. Der Mann, der uns das in der größten Fass-Werkstatt von Kentucky vorführt, heißt Timothy Holz und weiß um die sprechende Schönheit seines Namens. Holz, sagt Mister Holz, sei die teuerste Zutat beim Whiskey. Als 2008 wegen der Finanzkrise der Eigenheimmarkt kollabierte, wurde weniger Bauholz geschlagen, das Angebot sank, und Whiskey-Fässer wurden teurer. So hänge alles mit allem zusammen.

Die dominante Zutat ist allerdings der Mais. Der unterscheidet amerikanischen Whiskey so fundamental von allen Whiskys im Rest der Welt wie ansonsten nur das kleine e vor dem y: Es ist der Mais, der einen Bourbon im Vergleich zu einem Scotch geradezu gezuckert wirken lässt.

Bei den meisten Bourbons macht er um die 80 Prozent in der Getreidemischung aus. Jede Generation habe es bisher süßer gewollt als die vorhergehende, sagt Jeff Arnett bei Jack Daniel’s. Amerikanischer Whiskey verdankt sein Revival der Cocktailkultur, trägt aber das Prinzip des Cocktails, also Hochprozentiges durch Zucker geschmeidig zu machen, gewissermaßen schon in sich selbst. Dass in den Bars vor allem Europas neuerdings eher nach Rye-Whiskeys verlangt wird, weil die deutlich weniger süß, deutlich würziger sind, das zwingt die Brennereien Amerikas sogar zu noch mehr Traditionalismus. Früher war der Roggenanteil generell höher. Jetzt wird allerdings kaum noch genug davon angebaut. Bei Wild Turkey, die einen ganz exzellenten „Rye“ machen, holen sie den Roggen dafür aus Ostdeutschland.

Der Mais, das merkt man auch beim Whiskeytrinken wieder, hat als heilige Pflanze der Amerikaner fast alles andere verdrängt. Als Europäer wird einem manchmal bisschen mulmig, wenn man daran denkt, dass es Mais ist, was die Rinder fressen, die man hier im Steakhaus vorgesetzt kriegt, und dass es ebenfalls Mais ist, was die CocaCola hier süßer macht als irgendwo sonst (High fructose corn syrup – Amerikas Zuckerersatz seit 150 Jahren). Beim Mais stößt auch die Rhetorik vom Handgemachten und Authentischen an gewisse Grenzen. Denn wer in Amerika von Mais spricht, kann von Monsanto, der Saatgutfirma mit den vielen Gentechnik-Patenten, schlecht schweigen. Man muss Monsanto nicht einmal so verteufeln, wie das in Europa viele tun. Wenn man das Thema als solches nur anspricht, kippt die Laune schon von der Partystimmung einer Whiskeyprobe abrupt in die Gereiztheit von TTIP-Verhandlungsrunden.

„Es gibt gar nicht mehr genug Mais, der nicht gentechnisch verändert wäre“, sagt Alissa Henley, Master Distiller bei George Dickel, und dreht sich weg.

Aus Solidarität mit der Brennmeisterin meldet sich aus dem Hintergrund der Bierkolumnist aus Los Angeles zu Wort: „Ich hätte gern eine Extra-Portion Gentechnik in meinen Drink!“

Großes Gelächter im amerikanischen Teil der Reisegruppe.

Und er hat ja völlig recht, aus seiner Perspektive: Was für eine überaus europäische Jammerlappenfrage. Wovor haben wir denn Angst? Krank zu werden? Weil amerikanischer Whiskey im wesentlichen destillierter Genmais ist? Wahrscheinlich müsste man dafür soviel davon trinken, dass man vorher ganz klassisch an einer Leberzirrhose eingeht.

Aber wenn man Whiskey als das große, feine, amerikanische Kulturgut anerkennt, das es ist, dann muss man hier zumindest auch einen kleinen transatlantischen Kulturkonflikt konstatieren.

In Europa gilt das „precautionary principle“, wonach sicher sein muss, dass etwas nicht schadet, bevor es erlaubt wird. In Amerika sehen sie es grundsätzlich umgekehrt. Und weil das im Handel mit Europa ein echtes Problem ist, schalten sie auch in den Brennereien bei dem Thema von ihrer begeisterten Redseligkeit jedesmal in atemberaubenden Tempo auf bockige Einsilbigkeit um. Jack Daniel’s und Jim Beam, die beiden Giganten, nehmen Genmais für den amerikanischen Markt, und wenn sie die Fässer für Europa produzieren, kommt teurerer Normalmais in die Tanks, sonst gäbe es Probleme beim Export. Alles wird vorher gereinigt, alles getrennt gelagert? „Sicher“, sagt die Sprecherin von Jim Beam. Das geht? „Sicher.“ Ist das nicht ein ziemlicher, nunja, Kostenaufwand? „Sicher“, sagt wieder die Sprecherin. Gequältes Lächeln. Man ahnt, was für Hoffnungen auf dieser Seite des Atlantiks auf einem Freihandelsvertrag liegen, der so etwas in Zukunft unnötig machen würde.

Überraschend ist eher die Einsilbigkeit bei denen, die sich entschieden haben, auf Gen-Mais zu verzichten, und darunter sind immerhin auch ein paar der bekannteren Marken.

Chris Morris, Master Distiller von Woodford Reserve, sagt, sie nehmen keins, weil sie den Whiskey wie im 19. Jahrhundert machen wollen, und damals habe es noch keine Gentechnik gegeben.

Und seine Pressefrau: „Wir werben allerdings auch nicht damit, dass wir keinen Genmais nutzen. Punkt.“

Aus Angst, Monsanto könnte dann wegen Herabwürdigung seines modifizierten Maises ruinöse Prozesse führen? Man erfährt es nicht.

Rob Samuels von Maker’s Mark sagt höflich: „In diesem Land sehen wir eher die Vorteile von Gentechnik, in anderen Ländern werden eher die Nachteile gesehen. Wir erwähnen es lieber gar nicht.“

Ähnliches bei Bulleit Frontier.

Und der große, geduldige Eddie Russell, der bei Wild Turkey den Whiskey macht: „Wir sprechen nicht darüber. Aber vielleicht sollten wir besser. Das ganze wird auch hier in den USA immer mehr zum Thema.“

Die Art von Leuten, die in New York und Boston, in Portland und San Francisco und wo immer sonst die Mieten gerade steigen, ihre Lebensmittel nach dem Gesichtspunkt „organic“, also bio, aussuchen: Diese Art von Leuten achtet immer häufiger auch auf das Zeichen für „non-GMO“, also für Gentechnikfreiheit. Es ist die Art von Leuten, die in Hipster-Bars „Mexican Coke“ bestellt, weil in Mexiko die Cola noch mit normalbösem Zucker gesüsst wird statt mit superbösem Genmais-Syrup. Und man darf davon ausgehen, dass sich diese Haltung irgendwann auch vor den Whiskey-Regalen in den Licquor Stores von Brooklyn und Venice Beach niederschlagen wird.

Aber das sind auch die aneuropäisierten Ränder Amerikas.

Wir jedoch sitzen am Ende unserer Tour vor dem Distilled Spirits Epicenter in Louisville, Kentucky, in der Abendsonne, und wir wissen, dass man Lu’ille dazu sagen muss, damit einen die Einheimischen verstehen. So als hätte man schon ein bisschen was getrunken. Im Epizentrum für destillierte Spirituosen haben neue Brennereien ihre Waren zu einer kleinen Messe aufgebaut. Eine davon heißt „Angel’s Envy“, der Engel Neid. Wir begreifen inzwischen den Witz des Namens. Guter Bourbon, sehr guter Rye.

Der Bier-Experte mit dem Vollbart fragt in die Runde, was nun das Beeindruckendste gewesen sei. Keine der Antworten befriedigt ihn.

Dann setzt er selber an: „Als typischer New-York-Schrägstrich-L.A.-Typ muss ich sagen: Ich habe mich noch nirgendwo so als Amerikaner gefühlt wie auf dem Whiskey Trail.“

Nachdenklicher Griff in den Bart.

„Diesen Mais und das alles, das können echt nur wir.“

Und da hat er natürlich auch wieder recht. Das ist ein Satz, finden wir, auf den man anstoßen muss – was auch immer das langfristig mit einem machen wird.

Kurzfristig macht es warm und heiter.

 

(c) PETER RICHTER

Eine Version dieses Textes erschien unter der Überschrift „Breakfast in America“ zuerst am 13. Mai 2016 auf der SEITE DREI der Süddeutschen Zeitung