Snohettas neues SFMOMA

Ans Wetter will immer keiner denken. Aber dann fegten Tornados über das Land, Flugzeuge mussten umgeleitet werden, und als wir mit der kleinen Verspätung von zehn Stunden am Ende doch noch in die Stadt kamen, war die große Party gerade zu Ende. Die letzten Gäste, Leute von Rang im New Yorker Kunstbetrieb, kamen in beschwingter Verfassung aus dem Museum of Modern Art, und man konnte nur hoffen, dass sie auf dem Heimweg nichts durcheinander brachten, denn dieses MOMA lag nicht Manhattan, sondern am entgegengesetzten Ende dieses weiten, wirbelsturmreichen Kontinents. Es war das SFMOMA, das Museum of Modern Art in San Francisco.

Dass immer mehr Künstler der niedrigeren Mieten und höheren Temperaturen wegen nach Los Angeles fliehen, lässt sich bisher immer noch einigermaßen mit dem New Yorker Überlegenheitsgefühl vereinbaren, denn das lebt nicht zuletzt vom Stolz auf die Härten des Daseins. Was wirklich Irritationen verursacht, ist die Tatsache, dass es an der Westküste eine Stadt gibt, in der das Wohnen seit einiger Zeit noch unbezahlbarer ist und die Milliardäre noch jugendlicher sind. Und wo es bis auf weiteres nun auch noch das größere Museum of Modern Art gibt: Mehr Ausstellungsfläche als das in New York. Auch deutlich mehr Wille zum Wahrzeichen.

Als das MoMA in New York sich vor 12 Jahren einen Erweiterungsbau gönnte, sollte der sich nach Aussage des Architekten Yoshio Taniguchi selbst unsichtbar machen. Das ist ihm so gut gelungen, dass unter anderem auch deshalb nun schon wieder angebaut wird.

Das kaum weniger traditionsreiche SFMOMA – Jackson Pollock zum Beispiel wurde zuerst hier ausgestellt, dann erst bei den Kollegen New York – hatte sich erst 1995 von dem Schweizer Mario Botta einen massiven Tempel im Monumentalstil des späten Postmodernismus errichten lassen, hinter dem nun die Erweiterung eigentlich ebenfalls zur Unsichtbarkeit verdammt ist: ein schmaler Splitter mitten im Straßenblock. Trotzdem waren die Architekten von dem norwegisch-amerikanischen Büro Snohetta bemüht, ein erstklassiges Postkartenmotiv daraus zu machen. Von angestammten Haupteingang aus bleibt ihm nicht viel mehr als die Rolle eines Passepartouts, das sich zwischen Bottas wuchtige Burg mit ihrem eierförmigen Zyklopenauge und dem eleganten Art Deco-Turm aus den Zwanzigern schiebt, in dem übrigens die Internetfirma Yelp ihren Sitz hat. Da, wo er seitlich auf die Nebenstraße stößt, ist er wiederum zu schmal; dort kann er im Erdgeschoss allenfalls einen Seiteneingang markieren. Aber nach hinten hinaus, wo die Nachbarschaft flacher ist, auf der Rückseite, die dadurch jetzt zur eigentlichen Front wird: Da kann er das entfalten, was man eine bildhafte Wirkung nennt. Die Frage ist jetzt nur, was es eigentlich zeigt, dieses Bild.

Das Büro Snohetta, berühmt geworden mit der Großen Bibliothek von Alexandria und dem Opernhaus von Oslo, ist nicht dafür bekannt, Bilder zu bauen, die in erster Linie „Snohetta“ schreien; es pflegt eher eine Rhetorik der Ortsbezogenheit. Die Architekten legen in ihren Darreichungen nahe, an die Nebelschwaden zu denken, die so oft über dieser Stadt liegen und die Häuser zum Verschwinden bringen. Das klingt in der Theorie sehr poetisch, nach Schleiertanz, Fata Morgana und Paradox. Aber in der Praxis will eben immer keiner ans Wetter denken. Denn wenn kein Nebel herrscht, ist man eher froh darum, und wenn welcher herrscht, ist er ohnehin da. In der Praxis denkt man eher, Christo habe mal wieder was eingewickelt. Oder an eine Schneewehe, wie sie allerdings in Norwegen eher zu sehen ist als in Kalifornien. Viele, darunter der Kollege vom Londoner „Guardian“, denken auch an ein schönes, knuspriges Baisser, und wer sollte ihnen das bei dieser appetitlich weißen Oberfläche auch verdenken? Solche profanierenden Assoziationen sind das Risiko jeder pathetischen Geste. Auch das penetrante Motiv der helldunklen Bänderungen an Bottas Altbau muss einen nicht automatisch wie vermutlich gewünscht an die Toskana und die Frührenaissance, an die Dome von Siena und Pisa erinnern, auch Schwarzweißgebäck wäre im Prinzip legitim, gerade nach den Maßgaben der architektonischen Postmoderne. Eine kleine Kabinettsausstellung zur Genese des Entwurfs legt jedenfalls nahe, dass am Anfang die Auseinandersetzung mit Bottas waagerechten Streifen gestanden hat, über stark gefaserte Holzstücke, Wellpappe und Stapel von Papierservietten entwickeln sich dann, um metaphorisch im Bild zu bleiben, solche baumkuchenhaften Fassadenstrukturen. Handfester ist vielleicht die Information, dass die Formplatten dafür aus recyceltem Müll und Sand aus der San Francisco Bay gepresst wurden, nicht nur nebelschwaden- bzw. baisserhaft leicht aussehen, sondern es auch sind und damit eine sparsamere Konstruktion, letztlich also einen ökologischeren Bau ermöglichen. Die Wellen und Knicke brauche es, heißt es, für die Stabilität all dieser Leichtigkeit; es gibt demnach also auch einen funktionalen Grund dafür.

Von dem luftigen Kunststoffcharakter der Fassade kann man sich gut durch Beklopfung von der Linda and Jon Gruber Family Terrace im 7. Stock aus überzeugen, die ansonsten einen spektakulären Ausblick bis zur Bay Bridge bietet. Denn zu den funktionalen Gründen für einen Museumsanbau, gehört in Amerika immer auch die Notwendigkeit, Spendern Plätze zur Anbringung ihrer Namen zu schaffen; Bauen gilt hier unter der Hand als die Ultima Ratio des Fundraisings, ohne das auch die normale Museumsarbeit nicht funktionieren könnte. Schon deswegen betrachtet man Arbeiten von Shirin Neshat und William Kentridge in den Christine and Pierre Lamond Galleries, frühen Warhol in der Marie-Josée and Henry R. Kravis Gallery, späten Warhol hingegen in der, die nach Gay-Lynn and Robert Blanding benannt ist, und drückt vergebens gegen die Tür zum Ray and Dagmar Dolby Collections Study Center (Zutritt by appointment only).

Am Morgen nachdem all diese Gönner aus dem Risikokapitalwesen des Silicon Valley gemeinsam mit den Künstlern, Galeristen und Kuratoren aus New York und dem Rest der Welt den neuen Bau gefeiert haben, steht allerdings eine der Aufsichtskräfte in den sogenannten Swartz Galleries und präsentiert die als wäre es ihre: eine fröhliche schwarze Frau direkt neben einem gewaltigen Gemälde von Anselm Kiefer („Margarethe“, blonde Heuhaufen in finsterer Paul-Celan-Landschaft…) Erstens ist die Laune beim Personal generell geradezu euphorisch, überall ruft jemand begeistert „Willkommen!“, und zeigt, dass gerade im Museum eine Stimmung von Neubeginn und stadtgesellschaftlicher Zukunftsfreude zu Hause sein kann. Zweitens geht es im Kern bei dem Neubau um die Präsentation der Sammlung von Doris und Donald Fisher, den Gründern der Modekette „Gap“. Die Fishers aber hatten als Großsammler neben der amerikanischen auch einen besonderen Schwerpunkt auf die westdeutscher Kunst seit 1960 gelegt: eben Kiefer, Richter, Baselitz, Gursky und so weiter.

Lange hatte das Paar ein eigenes Museum dafür bauen wollen, stieß damit aber auf verschiedene Widerstände. Das hatte auch damit auch damit, dass große Neubauprojekte in der Stadt San Francisco mit ihrer langen Protesttradition generell als schwierig durchsetzbar gelten. Zum Erbe der Gegenkultur gehören hier nämlich nicht nur die Begeisterung der Silicon-Valley-Geeks für „disrupture“, also den Bruch, sondern auch ein eher konservierendes Sentiment, man kann es auch Angst vor Verdrängung nennen, und das die nicht ganz unbegründet ist, zeigt sich in den letzten Jahren. In dem Maße wie das Baugeschehen in San Francisco aus seiner Erstarrung im graubraunen Hochhausmittelmaß der Siebziger und Achtziger erwacht, in dem Maße beherrscht auch das Thema Gentrifizierung die Debatten: Der Anteil der Schwarzen an der Bevölkerung hat sich bereits halbiert.

Unmittelbar vor Don Fishers Tod im Jahr 2009 gaben die Sammler allerdings bekannt, dass sie sich stattdessen einfach mit dem SFMOMA zusammentun. Der Neubau auf zwei benachbarten Grundstücken, die das Museum erworben hatte, enthält nun in erster Linie Ausstellungsflächen für die Kollektion der Fishers. Es sind weite Etagen unterm einheitlichen LED-Lichthimmel, die mit Stellwänden variabel unterteilt sind. Neben diesen relativ konventionellen Etagen schiebt sich eine dramatische Treppenanlage aus hellem Holz zwischen den eigentlichen Bau und seine Fassade, die deswegen so nach außen gebaucht ist

Allerdings ist das, was die Fishers gesammelt haben, dermaßen kanonisch, das man vielen Künstlern in Bottas Altbau, wo die eigentliche Sammlung des SFMOMA präsentiert wird, noch einmal begegnet. Es sieht nicht so aus, als wäre geplant, diese zwei Welten in Zukunft eng in einander zu integrieren. So bleibt es bei zwei grundverschiedenen Häusern, die auf den verschiedenen Ebenen straff zusammengenäht sind.

Ist das ein Problem? Es ist zumindest kontrastreich. Auf der einen Seite die gravitätische, schwere Monumentalarchitektur von Botta in deren verwinkelten Gelassen neben den weltläufigsten Namen immer auch wunderbare, absolut entdeckungswürdige nordkalifornische Lokalberühmtheiten ein Zuhause haben – und dann der Neubau, der einem in seiner ganzen ökologisch vorbildlichen skandinavischen Hellholzfreundlichkeit die Schwergewichte des Kunstmarkes präsentiert. Es ist ein gigantisches, jetzt praktisch schon wieder etwas überfüllt wirkendes Labyrinth, in dem man irgendwann, nämlich in der Abteilung für Grafikdesign, an den Punkt gelangt, wo man mit seinem Smartphone ein Smartphone in einer Vitrine fotografieren kann: Das iPhone Nr. 1 ist da ausgestellt, der erste Macintosh Computer, die Google Brille… New York mag sich als Mittelpunkt der Welt fühlen, aber das hier ist immer noch der Mittelpunkt des Internets, die Hauptstadt der Digitalwirtschaft – ein Halbinselkopf, auf der es bedenklich eng geworden ist, seit das Silicon Valley bis zur Golden Gate Bridge reicht. Man kann sich kaum vorstellen, dass die flachen, alten Häuser im Rücken des SFMOMA nicht auch irgendwann mal durch Hochhäuser ersetzt werden. Man kann sich auch leider kaum vorstellen, dass nicht irgendwann versucht wird, auf den Fassaden Touchscreens nachzubilden oder die Struktur von Facebook. Der Hang zur „architecture parlante“, wie man das zur Zeit der französischen Revolution genannt hat, ist auch heute, zur Zeit der digitalen Revolution, ausgeprägt.

Man wird dann eventuell ganz froh sein, irgendwo dazwischen etwas Weißes klemmen zu sehen, das ein wenig aussieht wie ein Stapel Taschentücher, ein verirrtes Baisser, ein verflattertes Segel oder auch einfach nur eine schwummrige Wetterlage. Digital Natives können ja „cloud“ dazu sagen.

(c) PETER RICHTER

Eine Version dieses Textes erschien zuerst unter dem Titel „Heiter und wolkig“ am 3.5.2016 im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung.