Flake: „Tastenficker“

Und dann wird der Junge vom Auto überfahren. Er trottet, wir befinden uns in den Siebzigerjahren, auf einer Landstraße seinen Eltern hinterher, hört einen Motor, erinnert sich, dass man außerhalb von Ortschaften zur Sicherheit links gehen soll, will daher noch die Seite wechseln.

Dann lag ich auf der Straße und hatte den Blinker im Mund. Ich habe das mit dem Blinker im Mund gern erzählt, und dass er noch geblinkt hat, aber das stimmt nicht, denn erstens war kein Kabel mehr dran und zweitens wollte der Fahrer gar nicht abbiegen.“

Nicht viele erzählen so gern von ihren Missgeschicken. Nur wenige haben allerdings auch so viele zu bieten.

Er wird von den Mitschülern in den Schulpausen in den Müllcontainer gestopft und kriecht beim nächsten Mal, weil Gegenwehr zwecklos ist, gleich von selber rein, bekommt dann von innen allerdings den Deckel nicht mehr auf. Er flieht in die Musik, ist aber oft krank. Als seine Band zum ersten Mal eine Platte aufnehmen darf, hat er Pfeiffersches Drüsenfieber und kann nur im Bademantel auf dem Krankenhausflur durchs Telefon mitsingen. Als seine nächste Band auf Welttournee gehen will, nimmt er als einziger am Abend zuvor an einem salmonellenhaltigen Essen teil. Er glaubt dem Bankberater, dass man das viele Geld von der Plattenfirma nicht auf dem Girokonto liegen lassen dürfe, versenkt es artig in einen wertlosen Fond und muss sich von den Kollegen Geld leihen, um die Steuern bezahlen zu können. Er will den Kollegen von Rammstein in den Probenraum Mittagessen vom Inder mitbringen, auf dem Weg verfängt sich der Schnürsenkel seines Schuhs in der Öse des anderen, und da er die Tüten mit dem Essen in den Händen hält, kann er sich nicht abfangen und fällt „wie ein Brett auf das Gesicht“. In der Tasche zerspringt eine Saftflasche, die Scherben zerschneiden ihm eine Pulsader. „In diesem Moment fuhr unser Gitarrist mit dem Fahrrad an mir vorbei, ohne mich zu erkennen. Er erzählte der wartenden Band, dass er gerade gesehen hat, wie auf der Prenzlauer Allee ein Opa umgefallen ist.“

Es ist nicht so, dass man dem Gitarristen Paul Landers generell fehlende Hilfsbereitschaft unterstellen dürfte. Von ihm stammt immerhin der Vorschlag, über all das mal ein Buch zu schreiben.

So kommt es, dass der Besucher an einem lauwarmen Spätwinterabend einen Stapel Druckfahnen über einen Küchentisch in Berlin-Prenzlauer Berg geschoben bekommt. Auf dem obersten Blatt steht: „Flake“ und dann „Der Tastenficker“.

Tastenficker?

Das Gesicht hinter der großen Brille bleibt vollkommen ernst.

„So wurden Keyboarder genannt; alter Ostrock-Slang.“

Darunter steht: „An was ich mich so erinnern kann“.

Welches Buch der jüngeren Moderne wäre dem großen Buster Keaton je näher gekommen? Autobiografien von Musikern sind normalerweise etwas für Fans, die sich für Sauereien aus dem Backstagebereich interessieren. Das hier gehört nicht dazu. Das hier erinnert, wie gesagt, an den großen Stummfilmkomiker Keaton, und es gehört mit Sicherheit in das Regal mit dem braven Soldaten Schwejk, mit den spaziergängerisch herumstromernden Gedankenketten von Robert Walser; dies hier ist gleichzeitig die Geschichte von Hans Guckindieluft und die von Hans im Glück. Und diese Geschichte ist, versteht sich, ein  Lehrstück. Es geht dauernd ums Straucheln; es geht sogar um ein einziges Vorwärtsfallen durch das Leben. Vor allem aber geht es am Ende um etwas, das man nur so lakonisch und als Slapstick behandeln kann, weil es sonst so oft seifig und falsch kling; es geht um die Freiheit.

Das fängt damit an, dass „Flake“ natürlich nicht das ist, was 1966 in der Geburtsurkunde stand. Aber was willst du machen, wenn du als Kind dermaßen stotterst, dass du deinen eigenen Namen nicht aussprechen kannst, weil du in Wahrheit Christian Lorenz heißt, doch jedes Wort, das mit einem K-Laut anfängt, ist eine unüberwindbare Hürde. Du legst dir also einfach einen anderen zu. Den von dem Wikingerdorf aus der Trickfilmserie „Wickie“ zum Beispiel.

Dann können vier Jahrzehnte später Fans in Mexiko mutmaßen, dass der Name von „flaco“ kommt, was dort dürr bedeutet, während sie in den USA wiederum oft sehr sicher sind, dass mit „flake“ das amerikanische Slangwort für eine Niete gemeint ist. Flake ist ein dünner Mensch, und wenn er mit seinen Kollegen auf der Bühne steht, wirkt und agiert er wie Karl Valentin auf einem Treffen von sadomasochistisch interessierten Gewichthebern.

Aber dass sie sich überhaupt in unzähligen Fan-Foren und Medien mit dieser Frage beschäftigen in Ländern wie Mexiko und den USA: Das ist eben auch ein Teil dieser Geschichte. Und das eine führt über eine verwickelte Kette von immer weiteren Stürzen wie beim  Dominoeffekt zum anderen. Die Band, in der er heute spielt, ist nicht die allerunbekannteste. Es ist vielmehr, wie sich die Menschen in der Musikindustrie auszudrücken pflegen, der größte Act, den Deutschland der Welt  zu bieten hat. Aber das ist nicht so wichtig. Ihm jedenfalls nicht. Der Name der Band kommt überhaupt nur anderthalb Mal vor in seinem Buch. Einmal ganz am Ende, wo er sich dafür entschuldigt, dass er jetzt über alles Mögliche geplaudert habe, außer über Rammstein. Und einmal, als er bei den MTV-Awards in Mailand angesprochen wird, ob er bei „Remm…“ sei, und Flake, der weiß, wie schwer sich dieser harte Name für Ausländer spricht, sagt eilfertig „Ja“,  muss aber kurz darauf festzustellen, dass er mit dem Bassisten der amerikanischen Band R.E.M. verwechselt wurde.

Kann sein, dass man Flake Lorenz einen der ganz, ganz wenigen wirklich internationalen Rockstars nennen muss, die Deutschland hat. Aber auf die Idee kommt man nicht, wenn man in seiner Küche sitzt. Er ist auf jeden Fall derjenige, der sich am wenigsten daraus macht. Was er anhat, könnte ein Opa oder ein Schulkind anhaben. Schuhe, Hosen, Pulli –  wurscht. Wichtig: Die Küche ist groß, warm und überwältigend gemütlich. So wie Wohnküchen in Prenzlauer Berg früher häufig mal aussahen, bevor sie irgendwann anfingen, nach Musterhausküchenfachgeschäft auszusehen oder nach pharmazeutischen Labors. Pfefferminztee zieht in den Pötten.

Man muss noch ein wenig  leise reden, weil nebenan das Baby einschlafen soll. Eine ältere Tochter sagt kurz Hallo. Flakes Ehefrau, die Künstlerin Jenny Rosemeyer kommt dazu und ostberlinert so hinreißend warmherzig wie umgekehrt Flakes Art, diesen pointiertesten aller deutschen Dialekte zu sprechen, spröde genannt werden muss. Manchmal denkt man, die Sätze fallen in der Form von Krümeln aus seinem Mund, und während man bange wartet, ob noch was kommt oder nicht, begreift man schließlich, dass jedes weitere Wort die Sache weder klarer noch runder machen würde. Flake schweigt dann freundlich.

Weglassen ist auch in der Musik sein Ideal: Lieber mal nur zuhören, als dauernd seinen Senf dazu zu schmieren. Jedenfalls wird hier in der Wohnung in Prenzlauer Berg noch die Sprache der Ureinwohner gesprochen, was in der Gegend nicht mehr so häufig ist.

Flake Lorenz hat aber in dieser Wohnung als Kind schon gewohnt. „Erst oben drüber, dann nebenan, dann hier. Immer wenn jemand in den Westen ging, haben wir uns verbessert.“ Der Ort, wo er sie aufgeschrieben hat, ist also auch der, wo die Geschichte losgeht: Hier wurden die Jazzplatten des Vaters aufgelegt, wenn das Kind kränkelte. Hier wurde  auf der erstklassigen Weltmeisterorgel Blues und Ragtime geübt. Von dem Balkon, auf dem Flake heute zum Rauchen steht, hatte er als Kind „begeistert den Beerdigungen“ auf dem Friedhof gegenüber zugeschaut, und wo inzwischen nun schon die ersten liegen, mit denen er sich mal die Bühne teilen durfte. André Greiner-Pol zum Beispiel, der gleichzeitig der Rio Reiser, aber auch der Joe Cocker und der Robert Plant der DDR in einem war, was anstrengend ist und an die Substanz geht.

Das sind so die Themen ab einem bestimmten Alter. Rammstein ist nicht mehr die jüngste aller Bands, Flake selbst ist 48, und jedes einzelne Mitglied hatte ja bereits ein musikalisches Vorleben in der DDR. Das von Flake macht nun einen großen Teil seines Buches aus. (Andere Schwerpunktthemen: die Herrlichkeit von Fußmärschen, Oldtimern und Müllhalden.)

Über die Band Feeling B, in der er ab seinem 16. Lebensjahr  auf seiner Orgel mit der linken Hand den fehlenden Bass ersetzen musste und mit der Rechten das Publikum durch fiepende Kinderliedmelodien verwirrte, liegt seit Jahren ein Interviewbuch im Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf vor, und das gehört immer noch zum Besten und Lustigsten, was über die letzten Jahre der DDR  je auf Papier gedruckt wurde. Das wiederum lag entscheidend an Inhalt und vor allem Ton der Flake’schen Einlassungen.  Man muss nun beim Lesen des „Tastenfickers“ weder zu der schlecht gespielten Gutelaunemusik von Feeling B noch zu der sehr gut  gemachten Schlechtelaunemusik von Rammstein  eine Meinung haben, um die Erinnerungen des Autobiografen  als die Art von Literatur zu lesen, die man Leuten mit Freude an  Schelmenromanen und Leitfäden zur Lebensklugheit auf den Gabentisch legen möchte: Es geht nämlich nicht um eine bestimmte Art von Musik, es geht um die Musik als Lebensform.

„Andere in meinem Alter saßen hinter ihren Eltern im Trabant hinten rechts“, freut sich Flake. Er hingegen durfte an der Seite des wesentlich älteren, hart am Wahnsinn segelnden Funktionärssohns Aljoscha Rompe in einem rostigen Entstörfahrzeug durch das Land gurken und feuchtes Chaos in die Dorfgasthöfe liefern – oder an den Strand von Hiddensee, wo sie die Sommer über meist gleich auch dablieben und schliefen. Lutz Seiler hat dem Feeling-B-Sänger in seinem Roman „Kruso“ gerade wieder mal ein Denkmal gesetzt. Die DEFA hatte die Band 1988 in letzter Minute sogar noch zu Hauptdarstellern eines fast schon fertigen Dokumentarfilms gemacht, in dem es eigentlich um DDR-Rockbands der Sorte gehen sollte, bei der junge FDJler nachdenklich über dem Kopf mitklatschen. Flakes Band war viel (viel!) schlechter als diese Bands, aber eben deshalb auch viel besser. Die Verbitterung von Kollegen, die zum Teil an der Musikhochschule, Fachrichtung Rock und Pop, studiert hatten, war nachvollziehbar.

„Ich kann die total verstehen“, sagt Flake heute hinter seinem Küchentisch dazu. „Für jemanden, der was kann, der geübt hat, ist das echt beleidigend; und dann finden die Leute solche Dilettanten auch noch geiler als dich – das ist frustrierend. Das tut mir auch total leid.“

Wer damals bei solchen Konzerten vor der Bühne stand, hat tatsächlich selten gelungenes Musizieren erlebt. Aber es war dann so, als weite und öffne sich etwas in den verqualmten, bierdunstigen Sälen und in dem stickigen, verspießerten Land. In das Gefiepe des frühen Flake hinein konnte man an solchen Abenden tatsächlich das Gefühl bekommen, dass ausgerechnet exakt in der DDR ungeahnte Freiheiten möglich sind, wenn einfach konsequent alle Normen unterlaufen werden. Dieses heillose Getobe jedes Mal zu den Zeilen „Wir wollen alle artig sein, denn nur so hat man uns gerne“. Und die sich am Kinn kratzenden Volkspolizisten dazu. Weil: Was sollten sie der Band vorwerfen? War das Punk? Fun-Punk? Flake sagt, er mag schon den Begriff Fun nicht; in dem Punkt hat er mit Adorno mehr als nur die Brille gemein.

Wie eine Punk-Attitüde wirkt das zunächst, wenn Flake  bis heute bei jeder Gelegenheit die DDR zum angenehmeren deutschen Staat erklärt. Er sagt aber, das sei sein voller Ernst: „Weil ich vor dem Mauerfall exakt das gemacht habe, was ich machen wollte. Und weil ich mit den Möglichkeiten, die sich danach boten, nichts anfangen konnte. Ich wollte nicht wegfahren, ich wollte mich nicht selbständig machen, es gab nichts, was mir gefehlt hätte.“

Seine Frau rutscht bei dem Thema etwas unruhig auf dem Stuhl herum, sie muss hier nun kurz einhaken. Jenny Rosemeyer also sagt: „Das sehe ich auch so, wenn ich mir deine Biografie anschaue. Andere aber wären an Grenzen gerammelt. Du hattest schon auch viel Glück.“

Flake korrigiert: „Ich hatte früh Einsicht. Ich habe mich leicht abfinden können mit den Gegebenheiten. Ich habe mich dann nicht so aufgeregt wie andere. Wenn da steht, wer weitergeht, wird erschossen, sag ich: Aha, wer weitergeht, wird erschossen, also geh ich da mal nicht weiter. Damit war das für mich abgeschlossen.“

Jenny Rosemeyer, zum Besucher gewandt: „Auch interessant, oder?“

Sie sei da anders drauf gewesene. Sie habe auch „einen etwas anderen Kontakt gehabt zur DDR“, dabei ist sie sogar die Urenkelin von  ersten  Ministerpräsidenten Otto Grotewohl.  Sie war schon im Alter von zwölf mit der Volkspolizei aneinandergeraten. Da ist man weniger verzeihend.

Flake dazu wiederum: „Andere hatten es schwerer. Bezweifle ich nicht. Aber ich sprech ja über mich.“

Und die Sache mit der Armee? Der früh gefasste Entschluss, auf keinen Fall zur Armee zu gehen? Der ihm den Berufswunsch „Arzt“ unmöglich gemacht hat, der aus der Zeit nach dem Autounfall rührte und als Erinnerung an unerreichbar gewordene Träume heute noch in dem Spitznamen „Doktor Lorenz“ fest eingeschlossen glimmt? Flake: „Ich hatte auch da das Gefühl, ich bin frei. Denn ich hatte die Wahl: Ich kann studieren – oder nicht zur Armee gehen. Freie Entscheidung. Meine Verantwortung. Da kann ich nicht die Schuld auf den Staat schieben oder so.“

Das nun allerdings ist exakt die Entscheidung, vor der sich die meisten damals weniger stark gezeigt haben als der schmale, stotternde Junge mit der Brille und der Spange und dem entschlossenen Hang zur alltäglichen Vermeidungsbewegung.

Flakes fröhlicher Determinismus, die Bereitschaft, sich von den Gegebenheiten durch das Leben schnipsen zu lassen wie die Kugel in einem Flipper, trifft mitunter auf eine verblüffende Kompromisslosigkeit, um nicht zu sagen: wirklich sagenhafte Sturheit. Andere fanden alles scheiße, machten aber mit; Flake hielt es umgekehrt. Das muss man im Kopf haben, wann immer er die DDR als paradiesische Hippiekolonie besingt: Dieses zügellose Umherstreifen zwischen dem Bodensatz der Ordnung war auch ein ernsthaftes Versteckspiel – die Flucht vor den Feldjägern. Diese Art von Freiheit hatte also einen Preis; es gab von dort unten kein Zurück mehr.

„Noch einen Tee?“, will er wissen.

Gerne.

Die Dramatik, die in dieser Geschichte liegt, will er jetzt lieber schön beiläufig halten. Stimmt ja auch, dadurch wirkt sie stärker. Man kann sich vorstellen, wie er mit Rammstein im Studio sitzt und darauf drängt, dieses oder jenes bitte mal lieber dringend sein zu lassen. Er selbst beschreibt seinen Anteil an den Songs als den eines Baugerüstes, das am Ende wieder wegkommt. Wie soll man seine Haltung also nennen? Uneitelkeits-Extremismus?

Kann sein, dass der Flirt mit der Figur des Losers ein tief empfundenes Bedürfnis in einer Welt voller lächerlicher, sich auf der Brust herumtrommelnder Siegertypen ist. Kann auch sein, dass diese Lust am konstruktiven Scheitern in seinem Buch vor allem dazu dient, das Gelingen so eines Lebens zu inszenieren: Der Oldtimer-Verleih, mit dem er sich ein Geschäft aufbauen wollte, lief nicht. Aber das Glück der Fahrten in den alten Wagen kann ihm rückwirkend niemand mehr nehmen.

Er hat lange und an sonderbaren Plätzen nach der Liebe gesucht, und er hat sie dann schließlich gefunden. Das ist ein besonders anrührendes Kapitel, denn ohne diese Liebe seiner Frau, schreibt er, hätte er es – zum Beispiel – nicht geschafft, vom Trinken loszukommen. Und der Schnaps und das Bier und der Kaffeelikör waren schon vor den Tagen von Feeling B, also im Alter von 14, zu einem alltäglichen Vergnügen geworden. Irgendwann waren sie dann ein ernstes Problem. Motorradrockern im Vereinsheim zuzurufen, sie seien Wichtelmännchen und sollten sich ihre hässlichen Bärte abschneiden, klingt im Nachgang lustiger als es vor allem für diejenigen ist, die einen dann sehr eilig aus der Gefahrenzone tragen müssen. Eines Tages haben Rammstein ihn gezwungen, sich seine benebelten Auftritte auf Video anzuschauen.

Das war vielleicht der härteste von Flakes Freiheitskämpfen.

Jetzt gibt es abends Tee in der Küche und nach der Show keine Party, sondern sehr gerne einen Spaziergang ins Hotel. Trotzdem fühle sich das Musikmachen deswegen nicht wie Arbeit an, und das sei entscheidend, denn „sobald Anstrengung im Spiel ist, verliert man das Eigentliche aus den Augen.“ Er habe, wenn er es genau bedenkt, keinen einzigen Tag in seinem Leben  gearbeitet; alles ein einziger  Urlaub. Es bestehe Grund zur Dankbarkeit.

Er zieht sich eine Jacke über und kommt noch mit runter, um auf der Prenzlauer Allee Zigaretten holen. Die Welt, denkt man  auf der Treppe, würde  etwas verschrobener klingen, sie wäre aber auch deutlich wärmer, wenn es mehr Flakes gäbe und weniger von denen, die solche wie Flake auf dem Schulhof in die Mülltonnen stopfen. Insofern hätte es womöglich auch mit dem Sozialismus hingehauen, denn dass der Kapitalismus wesentlich seine Schäfchen ermuntert, andere Schäfchen in die Tonne zu stopfen – wer wollte das bestreiten? Flake jedenfalls nicht.

Für Leute, denen es als Kind ergangen ist wie ihm, habe er sein Buch in erster Linie geschrieben, sagt er noch. Damit die wissen: Sie sind nicht allein. Das  Glück ist möglich. Und dann ist er weg.

(c) PETER RICHTER

Eine Version dieses Textes erschien zuerst unter dem Titel „Vorwärtsfallen“ am 28.2./1.3.2015 auf der SEITE DREI der Süddeutschen Zeitung