Autonomie und Autofahren

Die fahrerlosen Fahrzeuge werden kommen. Das ist so sicher wie die Tatsache, dass irgendwann das Reich Gottes kommt. Jedenfalls für die, die daran glauben. Oder, für die, die daran glauben, der Kommunismus. Das ist mit anderen Worten von jener Sorte Sicherheit, bei der diejenigen, die fest darauf setzen, erstaunlich ärgerlich werden können, wenn andere es an Begeisterung über die frohe Botschaft mangeln lassen.

Die fahrerlosen Fahrzeuge sind aber auch wirklich schon sehr konkret im Anrollen, der Bundesverkehrsminister hat ihnen vorsorglich die A9 als Teststrecke und erstes Zuhause zugewiesen, und für viele jüngere Menschen wären sie sogar eine noch größere Erlösung als Paradies und Kommunismus zusammen: Endlich würde das Tippen von SMS kein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung mehr darstellen; endlich wäre Googeln am Lenkrad nicht mehr verboten. Deshalb arbeitet ja gerade die Firma Google so energisch daran, das Lenkrad abzuschaffen.

Immer mal wieder kommen Leute aus dem Silicon Valley zurück und haben leuchtende Augen. Die Gegend südlich von San Francisco ist das spirituelle Zentrum dessen, was Wissenschaftler als Techno-Religiosität bezeichnen; es ist sozusagen das Mekka, nach dem sich jetzt auch die Entwickler von BMW und Mercedes-Benz bei ihren Morgengebeten ausrichten. Immer mal wieder kommt also jemand zurück aus Kalifornien und benimmt sich erleuchtet, denn er hat das Google Car gesehen oder durfte gar drin sitzen. Das Google Car sieht niedlich aus. Wie etwas, das man auf den Schoß nehmen möchte und streicheln. Es spricht eine regressive Sehnsucht nach Entmündigung an, die man natürlich auch als Entlastung von lästiger Verantwortung für sich selbst begreifen kann: Man muss nicht lenken, nicht bremsen, nicht aufpassen, es lenkt einen nicht vom Internet ab, man muss es nur lieb haben. Das selbstfahrende Google Car ist ein Messias in Form eines Welpen.

Eine kritische Bibelwissenschaft der Zukunft kann ja zu gegebener Zeit die eher profanen Gründe in den Blick fassen, die im südlichen Umland von San Francisco zu solchen Erweckungserlebnissen geführt haben. Wer je im Stau auf dem Bayshore Freeway schmoren musste, der weiß, wie sehr man sich das Ende der gegenwärtigen Automobilkultur herbeizusehnen vermag: Wenn man schon nicht wirklich fahren kann, möchte man in der Zeit wenigstens Sinnvolleres tun als auf das zentimeterweise Weiterrücken des Vordermannes zu achten. Und wer je in San Francisco ein Taxi bestellt hat, kann auch unmittelbar nachvollziehen, wie es zu der Idee für die Firma Uber kommen musste. Die Taxifahrer von San Francisco standen zu Recht lange in dem Ruf, renitente Althippies zu sein, die den Geist des Aussteigertums gewissermaßen in ihren Fahrzeugen weiterzuleben versuchten. Der Traum vom fahrerlosen Fahrzeug ist zunächst einmal der von einem Wagen, der zuverlässig auftaucht, wenn man ihn braucht, und in dem einen keiner mit drogenvernebelter Klassenkampfesoterik vollfaselt. Es ist also kein Wunder, wenn Uber und sein Investor Google jetzt in dieser Sache zu Konkurrenten werden. Ein Fahrer aus Fleisch und Blut muss bezahlt werden, atmet, riecht, hat Ansichten, darf – nach den jetzigen Statuten von Uber – seine Fahrgäste online genauso bewerten wie diese ihn. Das alles ließe sich abschaffen: Das fahrerlose Taxi befreit von den Konventionen der Konversation und von der Konfrontation mit gesellschaftlichen Realitäten. Es erlaubt, sich ganz den eigenen sozialen Netzwerken zuzuwenden, seinen Peers. Das ist die Erfüllung eines Traums, der schon in Postkutschen und Pferdedroschken geträumt wurde, als deren phänomenologischer Widergänger die fahrerlosen Fahrzeuge auftreten. Dass sich im selbstfahrenden Mercedes F015 die Insassen gegenübersitzen wie in einer Kutsche, ist kein Wunder: Der Fahrzeugbau kehrt hier zu seinem Ausgangspunkt zurück. Das war bei den allerersten Automobilen auch schon so gewesen, es hatte eine Zeit gebraucht, bis sich der Gedanke durchsetzte, dass es für den Blick auf die Straße sinnvoller sein könnte, die Sitze wie im Kino hintereinander anzuordnen. Die Frontscheibe als dramatische Cinemascope-Leinwand überhaupt Ausblicke in die Landschaft, sind aber jetzt schon immer weniger gefragt. Denkt man das gegenwärtige Fahrzeugdesign unter den Prämissen des computergesteuerten Lenkens weiter, dann zeichnet sich ab, dass die Kapseln, in denen wir dann aneinander vorbei gleiten, buchstäblich so fensterlos sein werden wie die Leibnitz’schen Monaden; die Kontakte zur Außenwelt erfolgen über Bildschirme. Die Bildschirme entlasten dann gleichzeitig auch von der Peinlichkeit des Gegenübersitzens, über die von frühen Bahnreisenden oft geklagt wurde. (In einem Leserbrief an die britische „Railway Times“ wurde deswegen 1838 sogar mal der Vorschlag gemacht, die Sitze lieber mit dem Rücken zueinander zu montieren, um nicht stundenlang in fremde Gesichter starren zu müssen.)

Es könnte schon sein, dass all das die Zukunft des Fahrgastgewerbes beträchtlich umkrempeln wird.

Wenn einem so etwas allerdings als die Zukunft des Autofahrens verkauft werden soll, ist Skepsis angebracht.

Auto ist ein großes Wort. Das Selbst, das sowohl im Automobil wie in der Autonomie steckt, spielt aber beim fahrerlosen Fahren gerade keine Rolle mehr. Es kürzt sich sozusagen selber weg, wenn von „autonomen Autos“ die Rede ist – wie in einer doppelten Verneinung. Was dann übrig bleibt, ist etwas anderes, das den Wagen steuert. In diesem Fall: ein Computer mit Direktanschluss an das jeweilige Privatunternehmen, dem man seine Wege fortan in die Hand gibt.

Man sollte mit dem Begriff besser bewusst und vorsichtig umgehen, sonst geht man ideologischen und ökonomischen Interessen auf den Leim. Man sollte nichts als Auto bezeichnen, das man nicht selber fahren kann, und man sollte vor allem nicht von Autonomie reden, wo es aus der Sicht des Menschen um das Gegenteil geht. Das autonome Auto könnte sich selbst so nennen, wenn es irgendwann sprechen lernt. Ein Mensch, der das tut, muss von Selbstabschaffungssehnsüchten gepeinigt sein.

Das Selbst, das im Selberfahren des Automobils steckt, mag sich ganz am Anfang mal darauf bezogen haben, dass die Kraftquelle mit an Bord ist; dabei wird die Ausbeutung von Pferden in Wahrheit seitdem nur durch die fossiler Brennstoffe ersetzt. In der Praxis ist es schon eher das Selberlenken, durch das sich das Automobil als Vehikel der Emanzipation in die Kulturgeschichte der Menschheit eingeschrieben hat.

Als in England Ende des 19. Jahrhunderts die Straßen für den Motorverkehr freigegeben wurden, wurde das dort mit sogenannten Emanzipationsfahrten statt. Der Satz von der „freien Fahrt für freie Bürger“ ist so oft verhöhnt und ironisiert worden, wie das nur mit einstmals großen, pathetischen Wahrheiten möglich ist. Wenn Jean Baudrillard in seinem „System der Dinge“ davon schrieb, dass der Besitz eines Autos wie ein Beglaubigungsschreiben der Gesellschaftsfähigkeit sei, und dass der Entzug des Führerscheins daher einer „Exkommunikation aus der Gemeinschaft“ gleichkomme „- oder einer Kastration“: Dann meinte das damals, 1968, wie schon die Metaphorik zeigt, noch vor allem ein Phänomen im Leben von Männern, die ihr Auto, wie Baudrillard aus einer Umfrage zitiert, zunehmend als ihr eigentliches Zuhause begriffen, als persönlichem Freiraum zwischen Arbeitsstelle und der Familie zu Hause, als letztes Refugium ihrer Souveränität.

Ein Jahr später würde allerdings auch die gelbe Corvette Stingray gebaut werden, mit der die Schriftstellerin Joan Didion fortan nach getaner Arbeit durch die Hügel Südkalifornien streifen sollte, die Sonnenbrille vorm Gesicht und eine Zigarette in der Hand. Die Bilder, die Julian Wasser damals für die „Vogue“ von ihr und dem Auto gemacht hat, sind berühmt geworden. Sie stehen für eine Selbstermächtigung, für den Ausbruch aus dem Daseinsgefängnis der „Suburban Mom“. Ein weiteres Jahr später wird Didion den Roman „Play it as it lays“ vorlegen, in dem die weibliche Hauptfigur mit genau so einer gelben Corvette Stingray durch die Hügel Südkaliforniens streift, auf der Flucht vor manipulativen Männern und auf der Suche nach ihrem Leben. Das wäre in einem fahrerlosen Fahrzeug nicht so einfach gewesen. Mit fahrerlosen Fahrzeugen auch keine „Thelma und Louise“. Ohne die Möglichkeit, spontan sonderbare Umwege einzuschlagen, generell kein Road Movie. Das Autofahren ist aber eben nicht nur eine oft, vielleicht zu oft gebrauchte Metapher für das Leben als solches; es ist tatsächlich immer auch ein Trainingsmodell. Wer auf der Straße die Erfahrung macht, dass spontane Spurwechsel möglich sind, dass man ausscheren, abbiegen, neue Wege probieren oder auch wenden kann, der versichert sich darüber, dass er auch dem Leben, der Gesellschaft, den politischen Verhältnissen nicht treudoof ergeben gegenüber stehen muss. Autofahren als die Möglichkeit jederzeit am Lenkrad zu reißen, ist so gesehen immer auch ein Widerstandsakt gegen die Lüge behaupteter Alternativlosigkeiten. Der Stimme des Navigationssystems gelegentlich einfach mal nicht folgen, bis sie scheinbar immer beleidigter ihr „Wenn möglich, bitte wenden!“ in den Wagen zetert: Das ist nicht kindisch, das ist eine Übung in Selbstbestimmung, die sonst, wie alles, was nicht regelmäßig trainiert wird, verkümmert. Wer das Lenkrad aus der Hand gibt, gibt wesentlich mehr aus der Hand als nur das.

„Autofahren als Zeichen von Emanzipation“ schrieb die Frauen Union Niedersachsen im Oktober 2013 auf Facebook und versicherte den Frauen in Saudi-Arabien ihrer Solidarität. Saudi-Arabien ist das einzige Land auf der Welt, das Frauen das Autofahren verbietet. Saudische Frauen haben einen männlichen Vormund, der sich für sie Verantwortlichkeit anmaßt.

Die Empörung darüber ist weltweit groß, und sie ist berechtigt. Sie wäre umso mehr allerdings auch da am Platz, wo Fahrzeug- und Internet-Konzerne jetzt gewissermaßen zur freiwilligen Selbstsaudiarabisierung aufrufen. Die Überantwortung der eigenen Souveränität an einen digitalen Vormund wird dann nämlich nicht so einfach rückgängig zu machen sein.

Die sogenannten Millenials – die Geburtsjahrgänge zwischen etwa 1980 und der Jahrtausendwende – hätten aber nun einmal andere Werte: eine große Anzahl von Facebook-Freunden, Twitter-Followern und Tinder-Sexualkontakten seien cool, Datenschutzerwägungen, Autofahren und Autos besitzen eher nicht so. Heißt es immer. Liest man dauernd.

Aber stimmt das auch?

Mal davon abgesehen, dass es immer seltsam ist, wenn ganze Generationen auf einen Nenner gebracht werden sollen, ist die Frage natürlich auch hier, wer überhaupt ein Interesse an dieser Botschaft haben kann. Es ist zumindest aufschlussreich, dass auf der anderen Seite der Sozialnetzwerke und Suchmaschinen, auf der Seite der Erfinder und Betreiber, offensichtlich ganz andere Präferenzen herrschen. Was fährt denn Sergey Brin, Mitbegründer von Google, privat? Einen Tesla Model S. Den Ferrari unter den Elektroautos. Dass der in seinem Fall eine alberne Farbe hat, nämlich Pink, kann über die 380 PS nicht ernsthaft hinwegtäuschen. Und Facebook-Gründer Marc Zuckerberg? Einen Golf GTI und einen Honda Fit. Es ist viel gespottet worden darüber, weil Zuckerberg ja reich genug ist, sich einen Berg von Bugattis zu kaufen. Aber es zeigt in Wahrheit, dass Zuckerberg wirklich intelligent ist. Denn der Golf GTI ist der am besten gegen Sozialneid gewappnete Sportwagen der Welt, und wer je einen Honda Fit wirklich mal gefahren ist, weiß, dass dieser Kleinwagen zwar aussehen sein mag wie eine Zergkröte, aber exakt so wendig, spritzig und agil ist wie ein ans ZNS direkt angeschlossenes Organ. Mit anderen Worten: wie es die fahrerlosen, computergesteuerten Fahrzeuge eben niemals sein werden, weil sie es nicht sein können und nicht sein sollen.

Dass die Marke Dacia auch in den Städten Westeuropas so ein Erfolg geworden ist, obwohl sie für das ländliche Osteuropas konzipiert war, zeigt, dass es offensichtlich einen Markt gibt für das, was man in Amerika ein No-Bullshit-Car nennen würde, denn neben dem günstigen Preis ist es die komplette Abwesenheit von elektronischem Firlefanz, was so viele daran begeistert. Das beides bedingt sich schließlich.

Junge Leute kaufen weniger Autos als früher – auch weil Neuwagen immer teuer werden. Und sie werden immer teurer, weil sie bis unters Dach mit Elektronik vollgepumpt werden, die es vielleicht gar nicht unbedingt bräuchte. Die Elektronik ist allerdings auch das, was in so einem Auto immer als erstes veraltet. Man kann die Planer in den Autokonzernen verstehen, wenn sie sich darauf freuen, dass ihre Vehikel in Zukunft wie die Apple MacBooks mit ihren fest verleimten Batterien nach zwei, spätestens drei Jahren auf den Müll kommen und ausgetauscht werden müssen. Ob das, mit Blick auf die tatsächlichen Umweltkosten der IT-Industrie soviel ökologischer sein wird als das Fahren eines zwanzig Jahre alten Autos mit Verbrennungsmotor ist so eine Frage. Und wenn die Einführung immer neuer Assistenz- und Fahrerüberwachungssysteme eines bisher unzweifelhaft bewirkt hat, dann ist das ein Run auf Autos, die noch ohne all das auskamen. Autos, in denen nicht dauernd irgendein defektes Lämpchen Probleme mit dem Reifendruck meldet, die es überhaupt nicht gibt, Autos, in denen nicht ständig irgendein fummeliges Display Aufmerksamkeit beansprucht und einen unter dem Vorwand, assistieren zu wollen, vom Verkehr ablenkt, also tatsächlich eher gefährdet: Die gibt es ja. Die stehen beim Gebrauchtwagenhändler und heißen Youngtimer. Die könnte es auch beim Neuwagenhändler geben, wenn die Hersteller klug sind und eine Doppelstrategie fahren, wie BMW das mit seinem kuriosen Elektrokleinwagen vormacht, der in der Gesamtverbrauchsbilanz den Bau des 357-PS-Boliden i8 ermöglicht. Also: Bitte baut, wenn ihr unbedingt wollt, Smartphones auf Rädern für einen mehr an Technologie als an Selbstbestimmung interessierten Digitalplebs. Aber denkt daran, dass es kaufkräftige Eliten geben wird, die sich aus guten Gründen dem Zwang zu Vernetzung und Kontrolle entziehen werden, wenn man so will: die Manufaktum-Kundschaft unter den Autokäufern.

Es wäre ein Segen, wenn die fahrerlosen Fahrzeuge in Zukunft all die unwilligen, unaufmerksamen Fahrer aus dem Verkehr räumen würden, die an der Ampel das Starten verpassen, weil sie in ihr Handy starren. Es würde nicht zuletzt eben den Propheten Marshall McLuhan ins Recht setzen, der schon 1964 das Ende des Autos als Massenfortbewegungsmittel vorausgesagt hat – und damit mehr Platz für reine Sportwagen.

Auf alle Fälle muss man kein Prophet vom Schlage Marshall McLuhans sein, um vorauszusagen, dass die automüden Millenials nicht das Ende der Geschichte sind. Dass nach ihnen eine nächste Generation kommen wird, denen die automobile Selbstbestimmung wieder wichtiger sein könnte. Dieser Generation sind wir schuldig, dass die dann noch Autos zum Selberfahren vorfindet und eine Rechtslage, die das auch noch erlaubt. Aber das wird man nur durch Praxis erreichen können. Dadurch, dass man hartnäckig am Fahren festhält und von den Herstellern Autos ohne überwachende Bemutterungs-Elektronik verlangt. Dadurch dass man gegenüber moralisierenden Sicherheits-Apologeten ein Recht auf Restrisiko und Spontaneität geltend macht. Darauf, ein Mensch zu sein und kein Rechner.

Es gibt eine Macht des Verbrauchers, Dinge, die einem oktroyiert werden sollen, am Markt scheitern zu lassen. Mit der internetfähigen Brille von Google hat das zum Beispiel ganz gut geklappt. Man könnte fast sagen, dass das bisher sogar für Unvermeidlichkeiten wie das Himmelreich und den Kommunismus gilt.

(c) PETER RICHTER

Eine Variante dieses Textes erschien unter dem Titel „Ohne mich“ am 14./15. Februar in der Süddeutschen Zeitung