Diese Woche kommt eine Komödie ins Kino, die viele Menschen erheitern und verstören wird, einige allerdings nur erheitern, einige nur verstören. Gab es schon mal so viel zu lachen in einem Film aus Deutschland? Gleichzeitig gab es womöglich noch nie so viel zum Fürchten und Sich-Schämen. Und es sind dann gar nicht so sehr die dosierten Brachialszenen; es sind so peinhaft die Dialoge und Monologe, die klingen, als habe ein Drehbuchautor Diamanten auf der Straße gefunden.
Dabei geht es um das stets heikle und aktuell besonders vergiftete Horrorthema: Sex. Dass dieser Film punktgenau in einer Zeit landet, in der die Korrekturfunktion im Hirn eines Mediennutzers das Wort Sex sofort zu Belästigung autovervollständigt, ist Zufall. Der „Fikkefuchs“ wurde vor zwei Jahren gedreht, ein Crowdfunding- und Low-Budget-Projekt, das seinen Machern alles abverlangte, soziale Härten inklusive, ihnen dafür aber etwas Großes schenkte: Freiheit. Auch künstlerische Freiheit. Das Team nutzte sie, um zwei Jahre lang am „Fikkefuchs“ herumzuschneiden.
Von Weinstein et al. konnte man 2015 noch nichts wissen, und zur Übergriffigkeit mächtiger Männer im Film-, Fernseh- und Bühnenwesen hat der Film übrigens auch nichts zu sagen. Er handelt nicht von mächtigen, sondern, wenn schon, von den vielen ohnmächtigen Männern auf deutschen Straßen, in Büros und Kneipen, und wie die sich, vom Sexualtrieb fehlgesteuert, aufführen. Auch der „Fikkefuchs“ legt dabei, sozusagen parallel zur aktuellen Nachrichtenlage, nahe, dass es der Menschheit besser ginge, wenn sie von dem quälenden Thema Sex endlich erlöst wäre. Dann lieber aussterben, oder?
Nach alldem ist es ein helles, freundliches Wunder, dass die Frau, die man als Mutter dieser Hardcore-Komödie bezeichnen darf, ein paar Tage vor dem Kinostart im Münchner Wirtshaus Georgenhof sitzt, und erst auf ihre Rhabarberschorle zeigt, dann auf ihren Babybauch.
Rhabarberschorle, erklärt die Produzentin Saralisa Volm, 32, gehöre zu den Härten des Kinderkriegens, besonders wenn man in Berlin wohnt, aber nun mal aus Bayern stammt, aus Ottobrunn, und lieber Bier zur Weißwurst hätte. Es ist ihr viertes Kind, das bald erscheint, und es ist der erste Spielfilm, zu den erwähnten Spezialbedingungen: Crowdfunding, Selbstausbeutung. Ist der Film deshalb von so extremistischer Komik, Frau Volm? „Ja, logisch, weil er hinschaut, wo alle wegschauen.“ Kein Redakteur eines koproduzierenden Senders konnte hier etwas im Interesse der weiter möglichst geruhsamen Fortsetzung der eigenen Karriere verhindern.
Saralisa Volm hat sich oft fragen lassen müssen in den letzten Jahren, wie sie das alles schaffe, meistens von Frauen. Sie weiß um die Härten des Filmemachens und des Alltags mit Kindern, und sie sagt: „Til Schweiger hat vier Kinder, der arbeitet, wird der das auch gefragt?“ Zwingend sei für diesen Alltag eine Idee vom Leben plus der Verzicht auf Perfektion, auch in Erziehungsfragen. Klar sei ihr, zum Beispiel, dass ihre Kinder nicht die sind, die die bösen Wörter aus dem Kindergarten und der Schule mit nach Hause nehmen: „Unsere Kinder sind die, die die bösen in die Schule hineintragen.“
Ahnt die Frau, was für ein Monster sie da in die Welt gewuchtet hat? Wenn es Donnerstag auf die Deutschen losgelassen wird, dürfte was los sein. Und was dann los ist, wird viel darüber erzählen, in was für einem Land wir leben.
Saralisa Volm hat mitunter einen Silberblick. Sie dreht dann die Augen so, dass einem schwindelig wird; in der kleinen Rolle als Psychologin, die sie selbst übernommen hat im „Fikkefuchs“, lässt sie sich von der massiv gestörten Hauptfigur daher die Frage stellen: „Wer hat Ihnen denn vor die Schüssel gehauen?“ Das Schielen verstärke sich, wenn sie sich konzentriere, sagt sie. Offensichtlich verstärkt es sich auch, wenn ihr Mentor, der Regisseur Klaus Lemke, 77, zur Tür hereinkommt.
„Fikkefuchs?“, fragt Lemke, „noch nicht gesehen, nein, nein“, als er die Sporttasche absetzt, den Hut aber auflässt, denn Klaus Lemke hat immer die Sporttasche über der Schulter und immer den Hut auf, und eigentlich hat er auch meistens den Mund ein bisschen offen, sodass verlässlich Verwünschungen des deutschen Filmförderwesens herauskönnen und Lob von Risiko, Improvisation, Überraschung.
Der „Fikkefuchs“ ist also, genetisch gesehen, die erste kleine, dabei sehr große Koproduktion aus Berliner Armut und Schwabinger Schule. „Fikkefuchs mit Doppel-K“, sagt Volm. Sie haben gewollt, dass es alles möglichst norwegisch klingt. Sie hatten mal die Idee, so zu tun, als steckten Skandinavier hinter dem Film. Außerdem: gut für die Suchmaschinen. „Schon mal super“, sagt Lemke.
Es ist in etwa die scheue Begrüßung eines Vaters, der seine Tochter länger nicht gesehen hat. So ungefähr verhält sich das zwischen den beiden. Saralisa Volm war damals, während der WM 2006, das Mädchen mit dem Quecksilberblick, das in eine Deutschlandfahne gewickelt ins Set des Lemke-Films „Finale“ marschiert kam, die als Hauptdarsteller eingeplanten Männer zu Nebenfiguren degradierte und am Ende mit Frauen ins Bett ging. Es ging überhaupt recht viel um Sex und nur wenig um Fußball in „Finale“. Frau Volm erklärt nüchtern: „Das lag daran, dass wir rausgeflogen sind gegen Italien.“ Lemke: „Genau. Sex war die Antwort.“
Ein paar Filme lang war Volm seine wichtigste Darstellerin, und angesichts der aktuellen Nachrichtenlage ist es nun erwähnenswert, dass Lemke zu seinen Musen jenseits der Arbeit aseptischen Abstand hält. Ist es die Möglichkeit, dass ausgerechnet er noch nicht mitbekommen hat, was Volm nach ihrem Wechsel auf die Produzentenseite da für ein Werk gestemmt hat? Er hat keine Ahnung: „Gehe ich doch Donnerstag direkt mal ins Kino.“
Er wird dort zwei vermutlich und leider überaus nicht unüblichen Männern begegnen, deren trübe Gesamtlage mit den Begriffen „oversexed“ und „underfucked“ im Grunde schon korrekt umschrieben ist. Einen an Pornos und Dating-Apps irre gewordenen Jüngling, dessen stumpfe Triebhaftigkeit noch dadurch befeuert wird, dass er eigentlich, wie es einer der Drehbuchschreiber schön ausdrückt: lieber die Blüte wäre als die Biene. Für diese ambivalente Rolle hat man Franz Rogowski kriegen können, bevor der von Michael Haneke endgültig in den internationalen Filmstar-Himmel geschossen wurde.
An seiner Seite steht ein verlotterter Vater, der nicht wahrhaben will, dass seine erfolgreichen Zeiten bei den Frauen vorbei sind. Der wird gespielt von Jan Henrik Stahlberg, der auch der Regisseur ist und in „Muxmäuschenstill“ schon den Faschisten in uns allen auf sich genommen hatte.
Eine erhebliche Eigenart des Films sind nun neben den Dialogen fast endlose Monumentalszenen auf engstem Raum, die als Slapstick beginnen und in Tanztheater münden: Das Drama, wenn ein Sohn dem volltrunkenen Vater im Bad zu Hilfe sein muss und die Kamera auch dann einfach nicht wegschaut, wenn es immer, immer, immer unerträglicher wird. Oder der fleischerhaft herumknetende, ungelenke, verzweifelte Endlich-doch-mal-Sex des Sohns im Inneren eines Autos (es ist der Volvo der Cutterin), in dem, wie auch immer, ja zusätzlich noch ein Kameramann mit herumgeturnt haben muss.
Es sind Bilder, bei denen man erst vom Stuhl fällt, dann unter den Stuhl kriecht, sich dann auf dem Boden wälzt, dann wieder auf den Stuhl setzt und schaut, denn: Es gewinnt plötzlich an Würde, wird richtig anrührend und wirkt am Ende fast wie etwas von Pina Bausch oder Sasha Waltz oder aus den vielen Videoboxen auf all den Kunstbiennalen: Was für eine hoffnungslose Einsamkeit von zwei ineinander verkrampften Leibern; und was für ein greller Vorschein aufs Pflegeheim, weil inter faeces et urinam ja nun mal nicht nur die Kinder geboren werden, sondern meistens auch die Eltern enden.
Achterbahnfahrten in einer einzigen, eisenhart durchgezogenen Szene; das, findet Lemke unter seinem Hut, im Schwabinger Georgenhof, klinge schon mal ganz gut so weit.
Es sind Bilder, bei denen man erst vom Stuhl fällt, dann unter den Stuhl kriecht, sich dann auf dem Boden wälzt, dann wieder auf den Stuhl setzt und schaut, denn: Es gewinnt plötzlich an Würde, wird richtig anrührend und wirkt am Ende fast wie etwas von Pina Bausch oder Sasha Waltz oder aus den vielen Videoboxen auf all den Kunstbiennalen: Was für eine hoffnungslose Einsamkeit von zwei ineinander verkrampften Leibern; und was für ein greller Vorschein aufs Pflegeheim, weil inter faeces et urinam ja nun mal nicht nur die Kinder geboren werden, sondern meistens auch die Eltern enden.
Achterbahnfahrten in einer einzigen, eisenhart durchgezogenen Szene; das, findet Lemke unter seinem Hut, im Schwabinger Georgenhof, klinge schon mal ganz gut so weit.
Die Frau für den kuriosen Brachialsex im Auto. Für die Szene hatte die Casterin niemanden finden können. Nicht ohne Bezahlung. Das Geld war alle. Da hat sie es eben selber gemacht, die Casterin. Wer das nun sieht, weiß, was sie auf sich genommen hat. Tonangebend im Team von „Fikkefuchs“ seien überhaupt die Frauen gewesen, sagt Volm. Anders als sonst seien Männer hier im Wesentlichen dazu da, vor der Kamera zu stehen, dort allerdings keine gute Figur zu machen. Die Männer haben es nicht einmal auf das Filmplakat geschafft, stattdessen: ein Fuchs, schamhaarförmig in der Mitte eines – wer will das schon wissen, es ist nur eine stilisierte Grafik – eher weiblichen Körpers. In Frankfurt und München haben die Stadtwerke das Plakat vorsichtshalber schnell verboten, sie fanden es sexistisch oder hatten Angst, dass jemand es sexistisch finden könnte.
Der Low-Budget-Produzentin Volm ist es im Prinzip egal, sie findet das Verbot in jedem Fall okay: „Denn das kostet ja auch Geld, so ein Plakat aufzuhängen.“ Auf die kostengünstige Werbewirkung des Skandals setzt man nun Hoffnungen. Aber derartiges Vorab-Zähneklappern deutet darauf hin, dass der Film Turbulenzen auslösen könnte. Als er beim Filmfest in München dieses Jahr drei Mal vor ausverkauftem Haus lief, endeten die Diskussionen immer erst dann, wenn der Saal für die nächste Vorstellung gebraucht wurde. Ob man das so zeigen darf, ob man das so sagen darf, ob alle Männer so jämmerlich sind (hoffen wir es nicht), ob man das Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals in Berlin als „Lustgarten“ bezeichnen kann (wenn man so ein Idiot ist wie die Filmfigur und sieht, wie unbekümmert knutschend und Eis essend es von den Touristen im Sommer genutzt wird): Volm dachte eigentlich, die strittigen Punkte alle zu kennen.
Zwei Wochen vor dem Kinostart kam es dann nach einer Preview vom „Fikkefuchs“ im Berliner Kitkat Club zu einer Podiumsdiskussion, was ja immer wichtig ist in diesen Tagen und Jahren, wenn mal wo laut gelacht wurde: Podiumsdiskussion! Diese hier erinnerte nun an den mörderischen Bibliothekar in Ecos „Name der Rose“, der das Lachen an sich als bösen Eingriff in den Heilsplan empfindet.
Der Kitkat Club ist eine Mischung aus Swingerklub und Techno-Disco für amerikanische Touristen, die mal ein bisschen am verblassten Mythos des verruchten Berlin herumknabbern wollen. Das Podium nun tagte unter Gemälden, die monumentale Penisse und Popos zeigten. Eine Journalistin vom bisher vor allem als Zeitschrift für spätpubertierende Jungen bekannten Vice Magazin wollte über „toxische Männlichkeit“ sprechen. Eine Bloggerin zum Themengebiet Feminismus fand den Film „sehr heteronormativ“. Ein junger Mann, der von Ferne aussah wie ein Roadie von Barclay James Harvest ca. 1972 erklärte: „Das Patriarchat schadet dem Mann genauso, wie es der Frau schadet!“ Eine Sexualtherapeutin sagte: „Lasst uns mit unseren Genitalien eine neue Welt suchen.“ Die Bloggerin fand den Film „problematisch“. Sie habe Angst, Zuschauer könnten in den beiden Idioten Identifikationsfiguren finden. Auch der junge Mann fand es problematisch, die Satire, die er eben sehen musste, „unkommentiert stehen zu lassen“. Die Sexualtherapeutin sagte: „Viel atmen, viel bewegen, körperlich werden; ich glaube, das heilt uns alle gemeinsam mehr als jede Political Correctness.“ Die Bloggerin protestierte: Political Correctness sei ein „rechter Begriff“. Die Sexualtherapeutin sagte: „Oh.“
Es war, als hätte auch diese Berliner Szene in Wahrheit Jan Henrik Stahlberg geschrieben, der in dem Film immerhin einen wüsten Endlosmonolog improvisiert, in dem ebenso wie im Kitkat Club Proseminar und blühender Blödsinn zusammenfließen. Aber wenn das die Zukunft ist, haben die Menschen, Frauen wie Männer, dann nur die Wahl zwischen Ashram plus Vortragsseminaren und Zuständen, in denen man sich an das Afghanistan der Taliban als vergleichsweise heitere Kulturnation erinnern wird? Vielleicht braucht es solche Momente, um deutlich zu machen, wie überlebenswichtig Satire ist, oder generell: Humor?
Hauptdarsteller und Regisseur Stahlberg findet sich tags drauf zum Kaffee im Lokal „Bierhaus Urban“ ein, wo denkwürdige Szenen des Films entstanden sind. Er sagt, er habe leider auch keine Lösung für die Probleme seiner Figuren, die er zum Teil sogar gut nachvollziehen könne: „Aber ich will darüber lachen. In der Gemeinschaft von Frauen und Männern. Ob das dann heteronormativ ist – leck mich am Arsch.“ Diese Angst immer, die dazu führe, dass aus Deutschland selten was Lustiges komme. Schon bei seinem Debüt „Muxmäuschenstill“ sei er ständig gefragt worden, ob er nicht Angst habe, missverstanden zu werden. Angst, Angst …
„Verstehen Sie mich denn miss?“, fragte Stahlberg dann immer. „Nein, ich nicht, aber womöglich die anderen!“ Die paternalistische Superangst, jeder außer einem selbst könnte ein gefährlicher und deshalb dauernd durchzupädagogisierender Trottel sein. Womöglich braucht es Filme wie den „Fikkefuchs“ zur Notwehr gegen Selbstverzwergung.
Wolfram Fleischhauer, der zweite Autor des Drehbuchs, zuvor EU-Dolmetscher und Romanautor, sitzt noch mal zwei Tage später in seiner Berliner Schreibwohnung. Er schenkt Tee ein und schätzt, dass er auf dem grotesken Podium im Kitkat Club auf völlig verlorenem Posten war mit dem Einwand, dass Kunst das, was sie zeigt, nicht kommentieren darf. Er habe eine halbwüchsige Tochter, die er demnächst auf „so Arschlöcher wie in dem Film“ vorbereiten müsse. Er gibt zu bedenken, dass diese Typen jetzt übrigens bedenkenlos den Raum übernehmen werden, der frei wird, wenn sich die letzten noch etwas dezenteren Männer verunsichert aus dem zurückziehen, was man mal Flirten nannte. Die echten Honks scheren sich ja einen Scheiß um Debatten in Zeitungen und auf Twitter. Er habe gehofft, erzählt Fleischhauer, dass der Film erstens unterhaltsam wird und zweitens danach ein entspannterer Umgang mit dem Thema möglich sein könnte. Immerhin erstens also: Der Film ist sehr, sehr unterhaltsam geworden.
Klaus Lemke hat im Georgenhof längst seine Sporttasche geschultert und ist in den Schneideraum zurück, denn die nie endende Arbeit ist sein Weg, um mit den Spannungen in der Welt umzugehen. Aber es gibt noch andere Wege.
Die Therapeutin im Kitkat Club hatte ja schon gefordert, dass unsere Genitalien nun auf Weltreise gehen müssen. Frau Volm gibt zum Abschied in Schwabing artig die Hand, und sie sagt dann nur noch: „Vielleicht brauchen wir alle mehr Sex, damit es wieder besser wird.“
PETER RICHTER
Eine Version dieses Textes erschien zuerst am 12.11.2017 auf der Seite Drei der Süddeutschen Zeitung