Bomber-Alarm bei Barney’s

Bomberjacken. Auf einmal gibt es nur noch Bomberjacken. Es ist schon ein bisschen beunruhigend, wenn es in der Designermode-Abteilung von Barney’s in New York plötzlich aussieht wie früher beim Hoolywood in der Schönhauser Allee um die Ecke vom Berliner Jahn-Sportpark. Denn das sind die Orte, wo solche Jacken bis vor kurzem noch zu Hause waren.

Dabei kann man über diesen Laden an sich nur Gutes sagen. Der Betreiber, ein Veteran aus dem Anhang des BFC Dynamo, nahm immer klaglos die Amazon-Pakete für seine Nachbarn an und blieb auch gegenüber Union-Fans und sogar Sachsen stets hilfsbereit und aufgeschlossen. Auch ging er fast genauso oft ins Theater wie ins Stadion, was etwas über die Qualität sowohl der Berliner Bühnen als auch des dortigen Fußballs aussagt; ein erlebnisorientierter Mensch eben. Seine Bomberjacken verkaufte er Leuten, die Bewegungsfreiheit als Lebensstil schätzten, und in ihrer Kleidung vielleicht auch eine Erinnerung daran bewahren wollten, was für ungezähmte Burschen sie vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren einmal waren. Das Schöne an Läden wie dem Hoolywood war immer, dass es sie gab – und dass es in der Herrenabteilung von Barney’s in New York eben anders aussah. Feiner, fragiler, futuristischer.

Aber dann brach diese Frühjahrssaison herein.

Es ist als hätten die Modemacher aller Länder eine Massenmobilmachung beschlossen. Von den Luxuskaufhäusern bis runter zu den Diskountern; sogar in der Damenabteilung von Barney’s in New York: Bomberjäckchen.

Ja, das ist natürlich eine Übertreibung. Denn nein, es ist nicht so, dass es gar keine Ausnahmen gäbe: Manchmal hängen zwischen den Bomberjacken auch sogenannte Collegejacken; das sind Jacken, die aussehen wie Bomberjacken aus Wollfilz mit weißen Lederärmeln. Oder diese Motorrad-Lederjacken mit dem leicht versetzten Reißverschluss und dem großen Revers. Wobei man dazu sagen muss, dass jetzt in der Regel aber die Bomberjacke aus Leder ist und die Lederjacke aus Bomberjacken-Nylon, während die Collegejacken leicht versetzte Reißverschlüsse und große Revers haben und auf den weißen Ärmeln kleine Bomberjackenärmeltäschchen… Was sich Modedesigner eben so einfallen lassen, wenn sie im Grunde nicht mehr Verbesserbares in die Hände bekommen.

Das Entscheidende ist: Wer in dieser Saison eine Jacke kaufen will, der muss herumlaufen wie einer, von dem er noch in den Achtzigern im Zweifel nichts Gutes zu erwarten gehabt hätte. Wer in den Achtzigern nämlich eine Bomberjacke/Collegejacke/Bikerjacke erblickte, der wusste, dass Ärger in der Luft lag, jedenfalls dann, wenn diese Jacken nicht zufällig von Angehörigen der Luftstreitkräfte/Collegestudenten/Motorradfahrern getragen wurden. Denn die Primäradressaten dieser Jacken spielten in ihrer langen Geschichten nun wirklich die geringste Rolle. Dass man speziell bei der zufälligen Begegnung einer Bomber- und einer Motorradjacke an einem englischen Badestrand lange Zeit fest von Friktionen ausgehen durfte, das konnten sie ja nun weder bei der Firma Alpha Industries in Virginia ahnen, wo man zunächst einmal nur froh war, die U.S. Air Force mit Nylonjacken eindecken zu dürfen. Und noch weniger geahnt haben kann das jener Irving Schott, der 1928 in New York damit begann, Motorradfahrern eine Lederjacke mit dem schönen Namen Perfecto zu verkaufen. Der Verkäufer, der einem bei Barney’s in New York jetzt erklärt, beide Arten von Jacken sähen „sharp“ aus, der muss auch nicht wissen, warum und weshalb, lange vor seiner Geburt, im fernen Europa Mods und Rocker aufeinander losgegangen sind und warum die einen Bomberjacken und Armeeparkas trugen und die anderen Motorradjacken und auf welchen Wegen dann nicht nur diese Jacken an Skinheads und Punks vererbt wurden, sondern auch der Konflikt zwischen Leder und Nylon. Es reicht völlig, dass er sich der in ihnen akkumulierten Aggressivität bewusst genug ist, um seine Kunden zuzuraunen, wie „sharp“ auch sie aussehen könnten. Für Preise zwischen 500 und 2000 Dollar.

Für Lauren Laverne, die Modebloggerin des Observer aus London, ist das ebenfalls keine Glaubensfrage mehr, sondern nur noch eine des Geschmacks: „Rebellious but somehow brainier than a biker jacket“ – rebellisch, aber vielleicht ein bisschen weniger stumpf als eine Motorradjacke ist „the bomber“ ihrer Ansicht nach. Deshalb sei die Jacke immer schon von Jugendkulturen bevorzugt worden, deren ästhetisches Ideal darin gelegen habe, da ist das Wort schon wieder, „sharp“ auszusehen: Scooter Boys, Ska Kids, Skinheads, Hip-Hop-Pioniere… . Und mit „sharp“ ist da gewiss nicht gemeint, dass diese Jacken besonders scharf geschnitten wären. Im Gegenteil. Mit ihren Wollbündchen und ihren runden Schultern könnte man gerade Bomberjacken auch für etwas eher Gemütliches halten. Es ist schon die unheimliche Zweckmäßigkeit ihrer militärischen Ursprungsbestimmung, die da für den Nervenkitzel zuständig ist. Und das entweder auf der Straße oder durch Film und Fernsehen zu erwerbende Wissen, dass dieses nach vorne Eingerollte ganz gar nichts Geruhsames ist – sondern die Haltung eines Boxers.

Man liegt vermutlich nicht ganz falsch, wenn man dieses „sharp“ eher mit der Art von Schärfe übersetzt, die zum Beispiel der eher nicht zu den großen Bomberjackenträgern der Geschichte zählende Adorno meinte, als er, natürlich tadelnd, über die „scharfen Genüsse“ schrieb: Whisky, Zigarren, Krimis – all das im Prinzip ungesunde Zeug, für das man sich einen Geschmack erst antrainieren muss.

Das Gewaltpotenzial, das den Bomberjacken eingenäht ist wie ein zweites Futter, ist das ästhetische Genussmittel des Frühjahrs 2014, und da darf man sich schon mal die Frage stellen, was das eigentlich aussagt über diese Zeit und ihre Sehnsüchte. (Immerhin ist das eine, in der Bomberpiloten nostalgische Figuren geworden sind. „Luftschläge“ werden heute von Drohnen ausgeführt, die aus Bürogebäuden in Nevada gesteuert werden – von Männern, die nun wirklich nichts Heroisches mehr haben.)

Nun sind zeitdiagnostische Erwägungen aber nicht unbedingt das, worüber sich Modebloggerinnen so ihre Gedanken machen. Die sprechen, was die Epidemie der Bomberjacken betrifft, dafür aber alle gerne vom „Gosling Effekt“ – mittlerweile ein stehender Begriff der Modegeschichte: Ryan Goslings goldglänzendes Jäckchen in dem Neo-Noir-Film „Drive“ (2011) von Nicolas Winding Refn war offensichtlich schuld daran, dass schon kurz darauf von Phillip Lim bis Stella McCartney so gut wie alle Modedesigner ihre Models in metallisch schimmernden Bomberjacken-Derivaten über die Laufstege jagten. Was da adaptiert, verfeinert und teuer weiterverkauft wird, ist aber natürlich nicht nur ein Stoff, ein Schnitt und eine Farbe; es ist schon auch hier die Energie und die Wut, die diese Jacke ausfüllt, die kalte Aggression und Entschlossenheit, mit der in dieser Jacke niedergemacht wird, wer sich mit ihr anlegt. Ryan Gosling in „Drive“ ist damit ein rechtmäßiger Nachfolger von Marlon Brando in „Der Wilde“, der ein Film über die Motorradjacke Perfecto war, und von James Dean in „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, der wiederum von einer roten Windjacke handelt, und ja, auch von Tom Cruise in „Top Gun“, wo es auch schon einmal um eine Bomberjacke ging, in der Hauptsache aber um eine Sonnenbrille.

Die Modedesigner haben sich da für diese Saison bei geschmacksbildnerischen Kulturleistungen bedient, die andere für sie erledigt haben. Die originäre Zweckmäßigkeit all dieser Jacken aus Amerika ist das eine, die Popularisierung durch Hollywood das andere, aber bis heute „scharf“ gehalten wurden sie überwiegend in Europa – von Leuten, die man abwechselnd Halbstarke, Rowdies, Intensivtäter oder „urban tribes“ genannt hat. Hier wurden sie in der Art und Weise aufgeladen, die dazu geführt hat, dass vor noch nicht allzulanger Zeit oft wortreich die Friedfertigkeit seiner Gesinnung beteuern musste, wer Gefallen an einer Bomberjacke fand. Denn diese Jacken waren zunächst einmal aus drei Gründen so beliebt: Sie signalisierten Zugehörigkeit oder Nähe zu selbstbewusst auftretenden Jugendkulturen, sie waren mit ihrem glänzenden Nylonstoff so etwas wie die Diskokugeln unter den Militärjacken, und das leuchtbojenhafte Orangerot des Innenfutters stand auch eher für aggressive Sichtbarkeit als für Tarnung. Vor allem erwies sich aber das, was für das Militär zweckmäßig war auch beim Nahkampf im Fußballstadion als praktisch: Diese Jacken waren verteidigungsbereit. Klassische Bomberjacken haben keine Kragen, an denen einer zerren könnte, sie wattieren den Körper wie ein Boxhandschuh, sie sind glatt und flexibel. Die mit ihr verfeindete Motorradjacke ist da deutlich steifer, aber sie hat auch in Schlägereien exakt die Panzerungsfunktion, die sie bei Verkehrsunfällen auf der Straße haben soll. Die Fixierung der Arme vor dem Körper, wo ein Lenker gehalten oder eben ein Gegenüber in Bomberjacke bearbeitet werden will, geht im Prinzip in die gleiche Richtung: Es sind die ersten echten Turnier-Harnische seit dem späten Mittelalter.

Die Burg von Meißen, kann man in kunstgeschichtlichen Vorlesungen übrigens lernen, hat da, wo andere Burgen Schießscharten haben, deswegen so ungewöhnlich große Fenster, weil man damals zeigen wollte, dass sie das militärische Gehabe damals nicht mehr nötig hatten und sich einer konsolidierten Territorialherrschaft erfreuten, in der Feinde nicht mehr mit dem eigenen Leib abgewehrt werden müssen.

Möglich, dass die hauchfeinen, hochanfälligen Wildleder-Blousons, die in den Achtzigern von einigen Poppern so gern getragen wurden, ähnlich gedeutet werden sollten: Empfindlichkeit als Geste der Arroganz. Umgekehrt haftet dem Martialischen immer schnell auch der Geruch von Schwäche an, von Unsicherheit, von Unterklasse und schließlich auch von Provinzialität. Als die Bomberjacken anfingen, in deutschen Stadien die Fankurven grün zu färben, hatten die stilprägenden englischen Hooligans ihre schon längst in die Altkleidersammlung gegeben und sich stattdessen bei Luxuslabels wie Armani, Gucci, Burberry gütlich getan. Das war von bomberjackenmäßiger Praktikabilität gegenüber Polizisten, die nach grünglänzenden Blousons mit orangefarbenem Innenfutter Ausschau hielten. Das war aber, mit dem britischen Sinn für Klassenkampf, irgendwie auch eine vorweggenommene Rache für die anstehenden Plünderungen der „casual subculture“ durch die Couture. (Und was soll ein Haus wie Burberry da auch groß sagen, wenn es selber sein Geld mit Trenchcoats macht, bei denen nach wie vor die Ösen zum Anbringen der Handgranaten am Gürtel sind.)

War das dann Helmut Lang, der als erster den Bomberjacken die Luft rausgelassen hat, um sie seiner anorektischen Kundschaft schmackhaft zu machen, zu Preisen, bei denen sich Handgemenge von selber ausschlossen? Diese Art von Designer-Bomberjacken muss jedenfalls ungefähr zu der Zeit aufgekommen sein, als die letzten Dorf-Skins in Billigimitaten vom Polen-Markt durch die Thälmannstraßen Ostdeutschlands gespringerstiefelt sind: Irgendwann in den Neunzigern. In den Großstädten Westdeutschlands sah man die Jacken dann eher an Türkengangs oder Bettelpunks, die wirklich Rechtsradikalen liefen dafür immer häufiger herum wie Linksautonome am Ersten Mai. Und um das Jahr 2000 herum waren dann die wirklich allerletzten in Berlin, die noch Bomberjacke zur Glatze trugen, jene homosexuellen Fetisch-Freunde, die in Erwartung von körperlichen Auseinandersetzungen ganz anderer Art auf dem Weg zur Diskothek Ostgut von desorientierten Antifa-Aktivisten aus Friedrichshain verhauen wurden.

Die kontinuierliche Verarbeitung von Macho Culture zu Gay Culture, von gewalttätigem Gebaren zu scharfen Stimulanzien, ist ein zivilisatorisches Projekt mit beträchtlichen Verdiensten, es dient einer allgemein wertsteigernden Sublimierung, von der irgendwann eben auch der Heteronormalschnösel bei Barney’s in New York noch etwas hat. Was nach Militarisierung der Zivilkleidung aussieht, ist ja immer nur ein Zeichen für die Befriedung der Gesellschaft.

Aber das hat eben auch eine Kehrseite, und die zeigt sich dann, wenn ein paar Jahre später diese Dinge ausgelaugt, abgetan, entkräftet und gewissermaßen „unscharf“ geworden auf den Ramschtischen landen. Camouflagemuster und sogenannte Combat-Hosen mit Kartentaschen auf den Schenkeln – auch erst Militär, dann Streetstyle, dann kurz Entzücken der Laufstege – werden heute, wie es aussieht, vor allem von sozialschwachen Frührentnern getragen. (Andererseits ist deren Alltag als einziger auch tatsächlich ein Kampfgebiet.)

Kann sein, dass der Bomberjacke nach diesem Frühling ein ähnliches Schicksal droht. Dass sie von den Midasfingern der Modeleute in etwas auf Jahre hinaus Untragbares verwandelt wurde. Das wäre zwar schade, weil sie, so wie sie seit einem halben Jahrhundert ist, eigentlich gut genug aussah.

Der Betreiber vom Hoolywood auf der Schönhauser Allee wird sie sicher weiterhin in seinem Sortiment haben. Wenn dann allerdings einer ankommt und so tut, als sei das die Herrenabteilung von Barney’s („Bomberjacke? Really? It’s sooo 2014“ ): Dann kann es natürlich sein, dass das ein bisschen Ärger gibt. Dass diese Jacke ihr Versprechen also doch noch einmal einlöst.

Peter Richter

Eine leider sehr stark veränderte Form dieses Textes erschien zuerst am 23. Mai 2014 im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung

, , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,