Claude Monet, das Geld und Hasso Plattner

Die wertvollsten Strohhaufen der Welt sind also ab sofort in Potsdam zu sehen. 111 Millionen Dollar hat die Kunststiftung des Unternehmers Hasso Plattner bei einer Auktion vergangenen Mai dafür bezahlt, gewissermaßen für jeden Halm im Bild einen. Dafür ist es allerdings auch ein besonders prachtvolles, nicht zuletzt auch besonders strohballenreiches Exemplar aus der Serie von Gemälden, die Claude Monet 1890 von diesem Sujet angefertigt hat. Die Summe habe weit über dem Schätzpreis gelegen, erklärte Plattner zur Eröffnung der Ausstellung „Monet. Orte“, aber bevor das Bild „irgendwo in China“ verschwindet … Andächtiges Raunen in den Reihen.

Dieser Auftritt als Gründer, Gönner und Patriarch war überhaupt bemerkenswert. Nicht nur, weil er ankündigte, dass die Monets aus seinem Wohnzimmer im Museum Barberini verbleiben werden, und zwar zusammen mit dem Rest seiner Impressionistensammlung. Bemerkenswert war auch, dass sich der Museumsstifter immer noch laut über Journalisten beklagt, die seine Rekonstruktion des kriegszerstörten Barockpalastes vor drei Jahren nicht ganz so bewundernswert fanden wie er selbst. Und bemerkenswert war schließlich der Umstand, dass die Potsdamer Frontlinien zwischen zugezogenem Geld und Alteingesessenen, zwischen Rekonstruktionssehnsüchten und Verteidigung der Ost-Moderne am Ende doch nicht so übersichtlich verlaufen, wie es von außen gern wahrgenommen wird. Jedenfalls heißt der Retter des lange vom Abriss bedrohten Terrassenrestaurants „Minsk“ aus DDR-Tagen ebenfalls: Plattner. Er will dort nun die Bestände an ostdeutscher Kunst unterbringen, die bisher im Museum Barberini waren und hier und da noch in den Ecken stehen wie depressive Vormieter, die gerade die Kündigung erhalten haben. Ein größerer Kontrast zu den freudestrahlenden Monets, die jetzt erst einmal hier eingezogen sind, ist jedenfalls kaum denkbar – es sei denn, man geht bis zu der Art von sozialistischen Realisten zurück, die in den Fünfzigern mit impressionistischem Pinselschwung den Aufbau von Industrieanlagen auf dem Land gefeiert haben. Denn es sind ausdrücklich nicht nur ihre Umstände, die diese große und übrigens auch sehr großartige Monet-Ausstellung unter das Motto „Geld müsste man haben …“ stellen. Das kommt schon auch aus der Sache selbst.

Natürlich ist das alles – mehr als hundert Spitzenwerke aus allen Schaffensperioden – zunächst einmal ein Großereignis für die Sinne, eine visuelle Betörung, im Grunde sogar auch eine olfaktorische: So duftig weht es von all den in Öl gemalten Heuschobern, Blumenwiesen, Waldrändern her, dass man Sorge um Allergiker bekommt, und so dick hängt der Qualm in den Bahnhofshallen oder über der Themse in London, dass sich allein vom Betrachten die Nasenflügel enger ziehen.

Wenn man in Rechnung zieht, dass die industrielle Revolution für die Menschen jener Epoche womöglich noch grundstürzender war als für uns die digitale, ist es zumindest interessant, wie unterschiedlich sie in den verschiedenen Ländern darauf reagiert haben. In England malten sie Burgfräulein für die gotischen Kaminzimmer der Fabrikbesitzer. Deutschsprachige Fabrikanten durften sich in Conquistadoren zu Pferde wiedererkennen. Und auch in Frankreich war allegorisch im Sonstwo schwelgende Salonkunst zwar tonangebend, aber daneben pflegten eben hier die sogenannten Impressionisten einen denkbar direkten und begeistert bejahenden Blick auf die Welt, in der die Kundschaft nun einmal lebte.

Sozialgeschichtliche Betrachtungen der Malerei haben immer hervorgehoben, wie dicht die Pariser Impressionisten den Routen des Tourismus folgten, wesentlich mit der Eisenbahn, wie sie gewissermaßen im selben Zug saßen mit den Ausflüglern, deren Eindrücke vom Wochenende im Grünen sie ihnen hinterher in Öl auf Leinwand zu verkaufen suchten, als wären es kollektive Urlaubsfotos. Der junge Kurator Daniel Zamani hat nun in Potsdam mustergültig all die Routen rekonstruiert und kann damit zeigen, wie der Ausbau des französischen Eisenbahnnetzes erst die Spannbreite von Monets Werk bedingte. Wie dieser Pariser, der in der Normandie aufwuchs, seine Kreise um die Hauptstadt zieht, wie er sich Dorf für Dorf die Seine entlangwohnt, immer wieder an die Küste zurückkehrt, sich im Alter auch an Italien versucht, bevor er mit seinem Gartenreich in Giverny ein begehbares Kunstwerk zum fortwährenden Abmalen schafft. Das alles weiß man zwar aus seiner Biografie. Aber selten oder noch nie war so eindrucksvoll zu sehen, wie sich entlang dieser Wege geradezu strategisch eine Malerei entfaltet, deren Kunstwollen, um einmal einen Begriff aus dieser Zeit zu benutzen, sichtbar vor allem in Folgendem besteht: Erfolg.

Das Bild des Künstlers als zur Not in stolzer Armut dahinleidenden Genies hat jedenfalls nie weniger zugetroffen als bei Monet, der nicht nur mit dem älteren Freund Édouard Manet eine für viele Kunden verwirrende Namensähnlichkeit hatte, die er freudig für die eigene Karriere nutzen konnte. Dass der Name Monet gleichzeitig immer auch so klingt wie der Begriff „Monnaie“, also Geld, ist natürlich Zufall, allerdings ein schöner. Denn Geld ist tatsächlich in dieser Künstlerbiografie immer ein bestimmendes Thema.

Wenn also ein Seminar über Kunst und Wirtschaft im Allgemeinen schon ideal in diese Ausstellung passen würde, dann erst recht eines über das Agieren eines künstlerischen Einzelunternehmers, der Marketingallianzen mit den anderen Impressionismus-Anbietern einging und mit der Zeit ein faszinierendes Fertigungssystem entwickelte. In Potsdam ist wunderbar nachzuvollziehen, wie Monet die charakteristischen breiten Pinselhiebe und Farbflecken des Impressionismus in der Waagerechten mal für schimmernde Wasseroberflächen, mal für Lichtfetzen auf einem Waldboden, dann wieder für Eisschollen, schließlich für Seerosen einsetzt. Man wundert sich nicht, im Katalog zu lesen, dass ihm mitunter im Duktus von Verbraucherschutzanwälten unterstellt wurde, seine als Freiluftmalerei angepriesenen Arbeiten heimlich und gewissermaßen betrügerisch im Atelier fertig zu malen. Und man kann kaum anders, als an Vorformen der Bewegungsabläufe von Fließbandarbeitern zu denken, wenn Monet im Londoner Hotel Savoy auf dem Balkon hoch über der Themse steht, vormittags den Nebel über der Waterloo Bridge malt und nachmittags den über Charing Cross Bridge, immer wieder, immer im Wechsel, außer sonntags, denn dann stehen die Schornsteine still ,und es gibt zu Monets Ärger in London keinen Smog.

In diesem Sinne zeigt sich Monet ganz sicher als ein Mann seiner Zeit, auch wenn er ihren geschichtlichen Großereignissen lieber aus dem Weg geht. In London weilt er schließlich nicht nur zu dem Zweck, im Akkord Brücken zu malen, sondern um dem Deutsch-Französischen Krieg zu entgehen. Während Kollege Gustave Courbet sich zum Wortführer der Pariser Kommune aufschwingt, zieht Monet es vor, im friedlichen Holland Kanäle und Windmühlen zu malen. Und als er dann wieder in Paris ist und reihenweise Stadtansichten fabriziert, lässt er die unschönen Zerstörungen links des Bildrands liegen und wendet sich erfreulicheren Aspekten zu.

Neben Geld war ganz auffällig die Flucht vor allem Militärischen das zweite Hauptlebensthema dieses Mannes. Oft genug hatten beide sogar miteinander zu tun. Denn um ihn vom sechsjährigen Wehrdienst freizukaufen, musste die Familie so viel Geld aufbringen, dass sie es als Druckmittel gegen seine künstlerischen Ambitionen einsetzen konnte, was den Drang zu ökonomischem Erfolg mit seiner Malerei umso mehr befeuert haben dürfte.

So liest man im Katalog viel von „Industrielandschaften, die sich gut verkauften“ und „modischen Themen, mit denen er ein kaufkräftiges Pariser Publikum ansprechen wollte“. Aber finanziell auf der sicheren Seite, wie man so sagt, ist er nach Einschätzung von Kurator Zamani trotzdem erst 1889 nach einer Gemeinschaftsausstellung mit Pierre-August Renoir, bei der sich vor allem amerikanische Sammler für diese Kunst begeistern. Es ist also kein Wunder, dass sich so viele Werke der Impressionisten heute in Amerika befinden, wo Ende des 19. Jahrhunderts überall gewaltige Industrievermögen in Privatmuseen investiert wurden – oft übrigens in barockisierenden Neubauschlössern, so wie heute wieder in Potsdam. Die Ausstellung in Potsdam kam tatsächlich in Zusammenarbeit mit dem Museum in Denver zustande.

Das alles ist also vielleicht einfach von großer Konsequenz. Selbst dass Monet ausgerechnet mit seinen Serien der immer gleichen Motive unter wechselndem Licht bei den Amerikanern am meisten Erfolg hatte, ist vielleicht weniger überraschend, als es zunächst erscheint. Wo das Einzigartige und Unwiederholbare an Kunst fetischisiert wird, zeugt das jedenfalls kaum von einem ästhetischen Sensorium für die Techniken der Wertschöpfung in der Moderne. Und bei Monet scheint der Takt des Repetitiven sogar schon in den einzelnen Gemälden einen Geschmack anzusprechen, der mit der eigenen Umgestaltung der Welt im Reinen sein will. Nicht immer tauchen im Hintergrund von Monets Ausflugsidyllen Industrieanlagen auf, aber doch ziemlich oft – und wenn nicht, dann ragen in der Regel lange Reihen von Pappeln über den Horizont wie Fabrikschornsteine. Es waren, sind und bleiben bei alldem natürlich trotzdem Pappeln, aber auffällig ist doch die Freude an Takt und Reihung. Diese Landschaften wenden sich in ihrer ästhetischen Struktur schon sehr eindeutig an einen Geschmack, der den wirtschaftenden Zugriff auf die Natur nicht als Frevel, sondern als attraktiv und beglückend empfindet. Und wenn dieser Geschmack die Erfindung des Ford Model T als Geniestreich goutierte, also eine immer gleich aussehende Gebrauchskulptur auf wechselnden Straßen, dann ist die Begeisterung für Monets Strohhaufen unter wechselndem Licht nur folgerichtig – auch wenn die in Ignoranz der landwirtschaftlichen Details dann meistens als Heuhaufen bezeichnet wurden.

Man hat oft Monets furiose Seerosenbilder, von denen hinreißende Exemplare in Potsdam zu sehen sind, zum Vorschein des abstrakten Expressionismus der New York School erklärt. Aber methodisch verweisen seine Serien im Prinzip auch schon auf Minimal und Pop Art, Kunst über, in und für ein Wirtschaftssystem, das man gemeinhin Kapitalismus nennt.

In diesem Zusammenhang ist es aufschlussreich, dass innerhalb der Serien die Qualität oder jedenfalls der Wert trotzdem eine Frage der Quantität zu bleiben scheint: Man hat bei Andy Warhols Siebdrucken von Elvis Presley gesehen, dass sie offensichtlich höhere Auktionserlöse erzielen, je mehr Elvise darauf abgebildet sind. Den Rekord hält immer noch „Eight Elvises“, für die 2008 insgesamt 111 Millionen Dollar bezahlt wurden – also genauso viel wie von Plattner für Monets Strohballen. Dafür hat aber tatsächlich auch kein anderer Monet mehr goldenes Stroh und mehr jubelnde Sonnenstrahlen zu bieten als der, der jetzt in Potsdam hängt.

PETER RICHTER

Eine Version dieses Textes erschien zuerst am 29.2.2020 im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung