Fred Turner on Tech+Trump+LSD

Im Museum von Berkeley ist jetzt „Hippie Modernism“ zu sehen, eine Schau darüber, wie Kommunen und psychedelische Drogen vor allem in Kalifornien eine Moderne geprägt haben, auf der auch die Digitalwirtschaft des Silicon Valleys fusst. Unweit von der Ausstellung kam es am vergangenen Wochenende zu Gewaltausbrüchen zwischen Unterstützern und Gegnern von Donald Trump. Eine Autostunde weiter südlich in Palo Alto, der Welthauptstadt des Internets, sitzt ein Mann, der sagen kann, wie das beides zusammenhängt: Fred Turner ist Ordinarius für Kommunikationswissenschaft der Universität Stanford.

Sie haben sich als Ideenhistoriker des Silicon Valley einen Namen gemacht. Lässt sich nach anderthalb Monaten Trump im Weißen Haus allmählich absehen, wie sich „das Valley“ zu dieser Präsidentschaft verhalten wird?

Kann man noch nicht sagen. Trump ist in vielerlei Hinsicht ein ziemlich traditioneller Autokrat und tut die Dinge, die Putin tut und Chavez tat, Mussolini tat. Aber viele von denen, z.B. eben Mussolini, waren den Interessen des Wirtschaftssektors gegenüber sehr aufgeschlossen. Die Herausforderung für das Silicon Valley wird darin bestehen, kritisch zu bleiben, auch wenn Trump den Konzernen hier gibt, was die wollen. Es ist kein Problem für das Silicon Valley, Flagge zu zeigen, wenn Trump H1B-Visa limitiert (Visa für „hochqualifizierte Arbeitnehmer“, d.R.), denn wir sind hier abhängig von solchen Visa, wir brauchen Immigranten hier, um den Laden am Laufen zu halten. Schwieriger wird das, wenn Trump Steuern senkt oder den Firmen hier Ausnahmen gewährt und sie so in seine Linie zwingt. Er hat schon die Chance, sie auf seine Linie zu bringen, das Valley ist kein monolithischer Ort. Marc Zuckerberg ist nur die eine Spezies hier, Peter Thiel ist eine andere.

Wie groß ist denn das Lager der Peter Thiels, also der libertären Trump-Unterstützer?

Gute Frage. Die große Mehrheit hier im Valley wählt demokratisch, und zwar schon seit fünfzig Jahren. Es ist ein liberaler Ort, aber es gibt libertäre Tendenzen. Es ist ein Ort, der durch seine ganze Geschichte hindurch Business als Mechanismus für sozialen Wandel wertschätzt. Er toleriert ein ganz schön großes Maß an Ungleichheit. Auf eine sehr stillschweigende Weise toleriert er auch Rassismus und Sexismus. Aber wenn man die Leute hier fragte, würden sie sicher sagen, sie stünden für den klassischen, toleranten amerikanischen Liberalismus: Diversity, Flexibility, Immigration und Zieh-dich-selbst-an-Deinen-Schnürsenkeln-hoch….

Womit Konservative Trumps Einwanderungs- und Mauerpläne oft verteidigen, ist das Argument, dass die Verknappung von Billigstarbeitskräften die Wirtschaft hier zum Zahlen menschenwürdigerer Löhne zwinge. Gerade das sonnige, liberale Kalifornien wird unter der Hand ja oft als Sklavenhalterstaat bezeichnet, in dem man im Straßenbild vor allem eine Bevölkerungsgruppe wirklich arbeiten sieht – lateinamerikanische Immigranten mit oder vermutlich häufiger auch ohne Papiere. Gibt Trumps Triumph hier jetzt Anlass, sich in dieser Hinsicht auch selbstkritisch ein paar Fragen zu stellen?

Absolut. Und wir sind diesen Fragen viel zu lange ausgewichen. Aber die Konservativen sich lieber die Unternehmen zur Brust nehmen als Menschen auszusperren und dann auf die Markkräfte zu hoffen. Es gibt andere Wege, die Löhne zu erhöhen als ausgerechnet die Schwächsten leiden zu lassen. Es stimmt aber, dass wir hier Feldarbeiter und Haushaltsangestellte haben, die sehr schlecht bezahlt sind, schlecht ausgebildet, denen es schlecht geht. Es ist gleichzeitig so, dass wir hier Programmierer mit prekären Existenzen haben, obwohl die ziemlich gut bezahlt werden. Hier zu leben ist eine Herausforderung und ein Risiko auf jeder Ebene.

Es ist der Geburtsort all der digitalen Technologien und Sozialnetzwerke, denen bei aller Profiterwartung immer ein Impetus des Weltverbesserischen und Emanzipativen anhaftete. Sie selbst haben darüber geschrieben, wie die Wege von der „Counterculture“ in die „Cyberculture“ führten. Jetzt hat Amerikas gar nicht hippiehafte Rechte nicht zuletzt mit diesen „tools“ Trump zum Präsidenten gemacht. Gibt das hier nicht zu denken?

Tut es nicht. Die schließen hier alle ihre Augen davor. Die Leute bei Facebook sind natürlich schon besorgt und versuchen jetzt technologisch gegen Fake News irgendwie vorzugehen. Aber wir kommen um das Grundsätzliche nicht herum: Die befreienden Kräfte, die wir hier entfesselt haben, um eine Art kommunenhafte, utopische Post-Sechzigerjahre-Welt zu erschaffen, haben uns in Wirklichkeit eine Überwachungs-Ökonomie und einen autoritären Führer beschert. Das ist fast zu schmerzhaft, um es an sich ranzulassen. Es gibt bei der Linken aber ein tiefes Missverständnis darüber, was Politik ist. Seit den Sechzigern gab es zwei Strategien von gegenkultureller Politik. Die Neue Linke wollte richtig Politik machen, mit Parteien. Und dann gab es diesen kommunalistischen Weg, bei dem die Leute versuchten, anders zu leben und sich anders auszudrücken. Und es war dieser Flügel, der das Silicon Valley infiltriert hat. Es gab da diese tiefe Hoffnung, dass wir nur die richtigen, ausdrucksstarken Technologien entwickeln müssten, um alle viel ganzheitlicher zu werden und eine alternative Gesellschaft zu bilden, die selbstverständlich so viel besser und glücklicher wäre, dass sie jeden mit reinziehen würde in ein besseres Leben. Das war von Anfang an die etwas verwirrte Ansicht. Wenn man aber zurückgeht zu den eigentlichen Kommunen in den Sechzigern: Das waren schlimme Zustände. Wenn alle Regeln über Bord geworfen werden, haben die Leute keine Handhabe mehr, um über die Verteilung der Ressourcen zu verhandeln. Was an ihrer Stelle hochbrodelt sind Vorurteile, Leid, Tradition; Frauen werden am Ende ziemlich mies behandelt, es ist alles äußerst heterosexuell, nicht wirklich offen für andere Sexualität, nicht wirklich offen für Leute anderer Hautfarben… Offiziell zwar schon, aber inoffiziell ist es uncool. Und das sehen wir hier jetzt auch. Wir sehen eine Kultur, die sich schon offen zeigt für alle möglichen Bekundungen, aber indem sie diese Offenheit ausstellt, setzt sie offensichtlich auf die Hoffnung, das Bekundungen allein schon Politik machten. Wir waren alle dermaßen beschäftigt, uns bei „Occupy“ auf der Straße selbst auszudrücken, während sich die Rechte damit beschäftigt hat, die Tea Party zu gründen und den Kongress zu übernehmen. Die hatten den Kongress, wir die Ausdrucksmöglichkeiten. Und jetzt haben wir nicht mal mehr die.

Die Ausdrucksmittel von Donald Trump sind auch eher unorthodox.

Donald Trump hat die Werkzeuge des „personal trackings“ mit seiner explosiven Persönlichkeit in den Griff bekommen, die einfach Macht ausstrahlt. Das bindet es auch zurück an den Faschismus, weil so viel von der Macht des Faschismus von der Fähigkeit einer charismatischen Person abhing, sich Medien zunutze zu machen und die eigene Persönlichkeit als Souverän mit der Bevölkerung in eins zu setzen. Denn wenn Trump sagt, die Medien sind gegen das amerikanische Volk, sagt er ja eigentlich, die Medien sind gegen mich, und ich bin das amerikanische Volk. Das ist Hitler, das ist Mussolini, das ist Chavez: Zu sagen, mein Leib enthält das ganze Volk. Es war Whitman, der gesagt hat, ich enthalte Vielheiten. Aber es ist Trump, der das zu Politik macht.

Er selbst spricht gern von den „vergessenen Männern und Frauen“, was er damit meinen dürfte, sind…

Weiße.

… aus der Mittelklasse, aus der Mitte Amerikas, vor allem: aus der Produktion. „Manufacturing“ ist jetzt ein Schlüsselbegriff . Sie wiederum haben einmal Google und das Neo-Hippie-Festival „Burning Man“ als „Vorboten neuer Produktionsarbeit“ bezeichnet. Aber ist das Silicon Valley mit seinen „Made in China“-Produkten nicht eher der Inbegriff dessen, wogegen sich Trumps Wahl richtete?

„Made in China“ macht aber nur Sinn für materielle Produktion, die Software wird hier produziert, das unsichtbare Zeug. Das iPhone kommt nicht von hier, aber die Spracherkennungssoftware Siri, und die wurde beim Burning Man erdacht. Der Grund, warum ich das „Manufacturing“ genannt habe, war der, dass das, was diese unfassbar kreativen Leute hier tun und erfinden, im Rahmen der „Burning Man“-Kultur oft als Kunst wahrgenommen ist. Ich wollte dagegen die Rolle betonen, die es für unsere lokale Industrie hier hat. Software ist hier das Gegenstück zu den Motoren in Detroit.

Aus dem Wort Industrie tropft hier aber deutlich weniger Schweiß als in Detroit oder sonstwo in Trumps Amerika. Ist das Land tatsächlich auch entlang von Fragen von Handgreiflichkeit und Abstraktion gespalten?

Ja. Dieser Ort hier ist, ähnlich wie viele an der Ostküste und einige Inseln dazwischen ein hochentwickelter, kosmopolitischer Ort, wo die Wirtschaft auf dem beruht, was man kreative Innovation nennt. Was man in Wirklichkeit hat, ist eine charakterliche Spaltung. Was Du hier brauchst, um erfolgreich zu sein, ist intellektuelle Feuerkraft, gute Ausbildung, soziale Flexibilität, die Fähigkeit, sich schnell von Chance zu Chance umzuorientieren, und die Fähigkeit, mit verschiedenen sozialen Milieus klar zu kommen. Was wichtig war, um in einer Fabrik in Detroit gut zu sein, war Beständigkeit, Verlässlichkeit, Pünktlichkeit und generell eine Arbeitsethik, die allem entgegen steht, was Dich hier erfolgreich macht. Wir hier in Amerika haben im Moment das Problem, dass wir diese Spaltung entweder als strukturelle oder als kulturelle wahrnehmen, aber nicht als beides gleichzeitig. Die Kultur des Silicon Valleys ist aber nun einmal die Kultur einer neuen kosmopolitischen Elite. Wir hier sind die globale Netzwerk-Elite und damit sehr anders als nichtglobale, nicht vernetzte Nicht-Eliten.

Klingt nach: Wir sind die Zukunft, und der Rest ist schnöde Vergangenheit – auch wenn die leider grade die Macht übernommen hat?

Ich mag die Vergangenheit/Zukunft-Gegenüberstellung selber nicht so gerne, aber die ist sehr verbreitet, eine sehr amerikanische Konstruktion: Wir gehen immer von Ost nach West, von der Vergangenheit in die Zukunft, und daher ist Kalifornien immer die Zukunft und immer das gelobte Land. Ich persönlich finde ja das deutsche Modell interessant, diese Mischung aus sehr fortschriftlichem Gewerbe in zum Teil sehr traditionellen Dörfern. Wenn ich da mit dem Zug durchfahre, frage ich mich manchmal, wie wir das auch schaffen könnten, mit unseren Technologien nicht nur China Auftrieb zu geben, sondern das Alte irgendwie mit dem Neuen zusammenzubinden. Das Silicon Valley ist zum Beispiel überraschend religiös, das denkt immer keiner, und zwar katholisch. Eine der führenden Universitäten hier ist Santa Clara. Man könnte sich jetzt mal vorstellen, dass so eine Hochschule mit einer ebenso religiösen in Alabama mal für 6 Wochen Studenten tauscht. Das würde jeweils grundstürzende Einsichten bringen. Was wir hier aber gelernt haben ist dies: Diversity und Flexibilität sind profitabel. Das ist etwas, das wir anderen Teilen Amerikas weitergeben können. Was wir von anderen Teilen Amerikas lernen könnten, ist vielleicht dies: Eingebettet in die eher traditionellen Vorstellungen von Familie und Geschlechterrollen im ländlichen Amerika – mit denen ich nicht einverstanden bin – gibt es auch Konzepte von Treue, Verbindlichkeit, gegenseitige Unterstützung, die rund um San Francisco ganz gut tun würden, wo Unabhängigkeit das Lebensgefühl ist, aber oft auch Isolation. Das ist nämlich die Sache mit den vielen liberalen und libertären Egos: Freiheit ist herrlich bei Erfolg, aber wer ist eigentlich da, wenn Du mal fällst?

War nicht gerade diese Region die Wiege der Kommunen?

Die Kommunen, die ich untersucht habe, sind alle gescheitert, außer sie hatten einen starken, autoritären Führer oder eine strenge religiöse Dimension. Ich habe nie eine Ausnahme gefunden. Kennen Sie die Diggers? Das war eine Theater-Kommune in den Sechzigern, die dann eine der ersten queeren Kommunen wurde. Neulich hat mir einer der Veteranen von denen gesagt: Ja, wir sind gescheitert, wir haben nicht genug Acht gegeben aufeinander. Aber soviele tolle, kreative Leute sind daraus hervorgegangen. Das ist genau mein Punkt: Diese Kommunen haben fabelhafte Individuen hervorgebracht, aber fabelhafte Institutionen? Haben die sich je um Leute gekümmert, die anders waren als sie selbst? Gab es je etwas anderes, als die Tendenz Homogenität zu reproduzieren? Hat je eine Kommune mal was für Obdachlose getan? Oder sich politisch für friedlichere Polizeitaktiken engagiert? Das Kommunen-Ethos der Sechziger war gegen das der Regierung geboren, gegen den Liberalismus. Und das ist jetzt ein Problem, denn das einzige, was uns vor Donald Trump schützen kann, sind liberale Institutionen, die Presse, die Gerichtshöfe, das Recht.

Es gibt Unterströmungen auf beiden Seiten des geteilten Amerikas, die sich dann doch ziemlich ähneln?

Ja. Newt Gingrich ist ein gutes Beispiel. Der wurde noch in den 1990ern als ein vorwärtsdenkender, libertärer Technologie-Typ gefeiert. Der hatte schon damals nicht den Freie-Liebe- und den Freie-Drogen-Teil an der Bewegung gemocht, aber er hat den antistaatlichen Impuls gemocht. Jetzt steht er an der Seite von Trump.

Wenn man Tom Wolfes Buch über den LSD-Apostel Ken Kesey Glauben schenken darf, dann war die Spiritualität dieser Kreise vor allem chemisch befeuert. Die Ausstellung „Hippie Modernism“ hat gleich mehrere LSD-getränkte Papiere als Exponate. Heute ist dauernd von der Wiederkehr der Droge die Rede, in minimalen Dosen – und unter Facebook-Angestellten.

Und zwar um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen! Ich kann Ihnen versichern, das war in den Sechzigern und Siebzigern nun wirklich nicht das Ziel. Da ging es um die Öffnung der Tore zu kosmischer Einfühlung. Leute wie Ken Kesey oder Steward Brand beschrieben sich als zur Härte erzogene Männer, die dank LSD als weiche, organische Wesen wiedergeboren wurden. Beim Microdosing geht es allenfalls darum, erfolgreicher im Team zu sein.

Die könnten argumentieren, dass das Team, die Firma, die digitalen Netze selber schon so eine Dimension von kosmischer Ganzheit haben. Dass das ganze Silicon Valley im Grunde ein Trip ist, auf dem die Welt hängen geblieben ist.

Dieses Kokettieren mit der „Wholeness“, mit dem Kosmischen, gibt es in der Tech-Industrie schon, das stimmt. Facebook hatte ja mal das Motto von Stewart Brands „Whole World Katalog“ paraphrasiert: „Warum haben wir noch kein Bild von der ganzen vernetzten Welt gesehen?“ Diese Ideologie hat alles infiltriert.

Der „Whole World Katalog“ war um 1970 herum ein Warenkatalog für alles Mögliche – und gilt damit auch immer als eine papierne Vorform des Internets.

Aber wenn Sie mal in „The Interval“ in San Francisco gehen, die Bar, die Stewart Brand und die Leute vom „Whole World Katalog“ da heute betreiben, dann werden Sie sehen: Die Ex-Hippies trinken im Alter auch Whiskey wie jeder andere. LSD, Ayahuasca und andere populäre Psychedelika sind wieder nur was für die jungen Leute. Da gibt es Leute, die sehen den Reichtum des Valley als ein Zeichen ihrer eigenen Richtigkeit. Eine zutiefst uramerikanische, also puritanische Idee: Amerika ist ein Ort, wo Gott dich liebt und dich mit Wohlstand belohnt. Wenn eine Region so reich ist wie diese hier, dann heißt das: Gott liebt uns mehr! Und wenn ich bewusstseinsverändernde Mittel einnehme, kann ich Gott sehen, und Gott wird mir seine Form offenbaren, und wenn ich Gottes Form in ein visuelles System übertrage, wird Reichtum meine Belohnung sein. Das ist das eine, was die Leute dabei antreibt. Das andere: Leute gehen begeistert vom technologischen Kommunen-Ethos zu Google oder Facebook und stellen nach zwei, drei Jahren frustriert fest, dass sie in Wirklichkeit bei Medienkonzernen gelandet sind. Aber ich weiß nicht, ob Microdosing daran irgendetwas bessert.

 

(c) PETER RICHTER

Ein kürzerer Ausschnitt aus diesem Gespräch erschien zuerst unter dem Titel „Tal der Ahnungsvollen“ im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung.