Tejas

Der Mann stand am Strand als suche er was mit seiner Krücke. Aus Hosentaschen gerutschte Vierteldollars vielleicht. Er sagte, da komme man jetzt nicht weiter. Es waren Reifenspuren im Sand, südwärts, auf die Grenze zu. „Aber jetzt ist Flut“, sagte er, „und man braucht einen Geländewagen“. Wenn er sprach, sah man Blut auf seinen Zähnen. Rot war auch sein T-Shirt. Auf dem T-Shirt war das Gesicht von Bernie Sanders.

Skippy, sagte der Mann. Er heiße Skippy Brown.

Ein Geländewagen war tatsächlich bestellt gewesen am Flughafen: „Jeep oder ähnlich“. Der Plan war, bis ans Delta des Rio Grande zu fahren, ans östliche Ende der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Man kennt immer nur das westliche Ende. Wie der Grenzzaun da zwischen den Stränden von San Diego und Tijuana ins Meer ragt und die Wellen in amerikanische und mexikanische teilt: Postkartenmotiv. Aber wie sieht das am Golf von Mexiko aus, bei Brownsville in Texas?

Auf dem kleinen Flughafen von Brownsville gab es – natürlich – keinen Jeep, sondern nur „oder ähnlich“: einen besseren Kleinwagen. Skippy Brown lachte. Er selbst war in einem zwanzig Jahre alten Buick hier rausgefahren, sein Auto sah aus, als ob er drin wohnte. „Das ist der Arme-Leute-Strand“, sagte er. Und an der eigentlichen Grenze gebe gar nichts groß zu sehen: „Einen Grenzpfahl in der Flussmündung. Da kannst Du durchlaufen.“

Der Strand sei voll von „illegalen Aliens“, sagt er. Alien ist der offizielle Terminus für Fremde, für Nicht-Amerikaner; es gibt legal in den USA residierende Aliens und es gibt die, die ohne Erlaubnis kommen. „Die verstecken sich hier überall in den Büschen. Ich habe Freunde, die mal in dem Nationalpark hier Camping gemacht haben, die sagen, die haben die ganze Nacht lang Leute am Zelt vorbeirennen hören.“ Skippy Brown sagt, er habe auf dem College-Campus hier gearbeitet. „Am südlichsten Punkt der USA, da gibt es sogar einen Golfplatz, da rennen die auch immer drüber. Ich war dort Volleyball-Trainer“. Wer das googelt, wird erstens sehen: Das stimmt. Und zweitens: Skippy Browns Vorname ist eigentlich Roy.

Nun hat Donald Trump die Präsidentschaft nicht unwesentlich mit dem Versprechen gewonnen, hier eine „schöne Mauer“…

Da lachte Skippy Brown aber laut.

„Das wäre wirklich albern. Die Mauer gibt es ja schon, nur als Zaun. Die Mädchen aus Mexiko klettern da drüber und machen ein Selfie und dann zurück in weniger als zwei Minuten.“

Er tupfte sich mit einem Taschentuch ein wenig das Blut von den Zähnen.

„Die muss er überhaupt erst mal gebaut kriegen, wenn er die Mexikaner dafür bezahlen lassen will, und die werden bestimmt nicht für eine Mauer bezahlen, die die Amerikaner draußen hält.“

Die Amerikaner??

„Die Amerikaner. Mich. Ich war heute bei meinem Zahnarzt, und der sitzt hinter der Grenze.“

Skippy Brown sagte, dass er Bernie Sanders unterstützt habe, bis der im Präsidentschaftswahlkampf aus dem Rennen war. „Der hatte ein paar gute Ideen. Trump hingegen: Der Mann ist doch gemeingefährlich. Ich habe das heute zu meinem Zahnarzt gesagt: Mann, der Trump macht mir eine Scheißangst. Und der so: Ich bin Mexikaner, frag mich mal.“

Die Leute in Brownsville, sagte Skippy Brown, hätten für die Idee mit der Mauer generell wenig übrig. „Es ist doch alles total anders an der Grenze, Mann. Der war nie hier unten. Der hat keine Ahnung. Die Leute hier sind alle braun. Die sind nicht weiß. Ich bin hier damals als ethnische Minderheit eingestellt worden! Da waren vielleicht fünf Weiße an der Schule und 12000 Braune. Natürlich sind die von Trumps Idee nicht begeistert, die haben doch alle Familie da drüben.“

Weiße Wähler der Republikaner schildern die demografischen Verschiebungen oft ähnlich – nur halt als Grund, dagegen anzuwählen.

„Es GIBT hier unten keine Weißen, Mann! Nur mich. Paar Lehrer. Ansonsten nur brown people, die schon ihr ganzes Leben hier sind, und wir haben in ein paar Wochen dieses riesige Sombero-Fest hier, der Bürgermeister von Matamoros wird rüberkommen, und dann, Sie wissen schon, Shakehands auf der Brücke und kleine Geschenke und so…“

Das Tijuana von Brownsville heißt Matamoros; die Stadt mit den billigen Kneipen und Zahnärzten. In Trumps innerstem Zirkel müsste der Name eigentlich für wohlige Schauer sorgen: Der Name des Volkshelden, nachdem die Stadt benannt ist, rührt letztlich aus den Zeiten der christlichen Reconquista in Spanien, Matamoros heißt Maurentöter.

Von der Reputation nördlich der Grenze her könnte die Stadt allerdings auch Matagringos heißen, Amitöter. Bis heute eine beliebte Gruselgeschichte aus dem echten Leben: Wie um 1990 herum dieser Student von der University of Texas, breites Kinn, breites Kreuz, All-American-Sportskanone, nach einem bunten Tequila-Ausflug mit paar Kumpels auf dem Weg zurück zum Grenzübergang nur mal kurz hinter einem Baum verschwand, und als er das nächste Mal gesehen wurde, lag er in Stücke zerhackt in einem Massengrab auf dem Anwesen von Ritualmördern, denen höhere Stimmen befohlen hatten, einen Gringo zu schlachten.

Heute gelten jene Jahre als die gute alte Zeit; heute gibt es die Drogenkartelle.

Matamoros is dangerous as HELL“, sagte Skippy Brown, gefährlich wie die Hölle. „Die kidnappen Dich dort. Heute hat mich mein Zahnarzt persönlich zur Grenze zurückgefahren. Der will ja, dass ich wieder komme.“ Und es sei für Gringos nicht gerade sicherer geworden, seit Trump Präsident ist. Es sei kein guter Plan, da aus reiner Neugier mal rüber zu fahren. „Da steigen Sie aus dem Auto und sind tot, ich meine, Sie sind nun wirklich weiß wie die Hölle.“

Hölle, hell, ist Skippy Browns Lieblingswort, und mit texanischer Breite ausgesprochen wird „hell“ zu „hehl“.

Er erzählte, dass Amerikaner nach Mexiko pendelten zum Arbeiten, weil es in Süd-Texas kaum Jobs gebe und zu viele Leute, die es noch dazu „sehr katholisch“ angehen ließen in der Zahl ihrer Kinder. Und er fand es grausam, wie lange die warten müssten, um US-Bürger zu werden. Er erzählte von dem Jungen, der extra in die Army eingetreten war und trotzdem keine Chance hatte – bis er fiel, danach hätten sie ihn endlich zum Staatsbürger gemacht, „zum toten Staatsbürger“. Skippy Brown sagte, dass das kein Witz sei, immerhin bekomme dadurch die Familie ein paar Ansprüche. Dann sagte er, dass er nächstes Jahr 66 werde und dann den Ruhestand größtenteils in Nicaragua verbringen wolle, da sei er mal gewesen, feine Sache, da könne man von 2000 Dollar zwei Monate leben, und er warnte nochmals eindringlich vor Matamoros.

Er würde stattdessen nach Progreso fahren, sagte er, zu dem Grenzübergang auf der Höhe der Stadt McAllen. In Progreso sei wundersamer Weise alles besser. „Die Mexikaner lieben dich, du kannst Bier trinken und shoppen, das Essen ist super, und das Ding ist SAFE AS HELL.“ Sicher wie die Hölle.

Zum Abschied winkte er – die andere Hand betupfte weiterhin die Zähne – sacht mit seiner Krücke.

Nachher am Checkpoint der US Border Patrol sollte der Officer fragen, was man eigentlich gewollt habe am Strand, und ob es sehr windig gewesen sei, während er durchs Heckfenster schaute, ob sich da hinten womöglich jemand versteckt hielt. Kein Alien zu sehen, gute Weiterfahrt!

So redselig wie Brown war in Brownsville selber keiner, schon gar nicht die, die Brown als braun bezeichnen würde: Es gab da etwa einen José, der nur Spanisch sprach, Trumps Mauerpläne ridículo fand, lächerlich, und ansonsten zu tun hatte. Und dann war da Jane, die so adipös in ihrem Auto klemmte, dass sie nur den Kopf noch bewegen konnte; Jane wiederum wusste, warum „die Leute“ für Trumps Mauer gestimmt hatten: „Wegen ALLEM!“

Vor allem die spanischsprachigen Münder bleiben im Moment eher mal lieber geschlossen, wenn einer ankommt, weiß wie die Hölle, und Fragen stellen will.

Wer nach Brownsville einwandert, muss woanders schon sehr dringend wegwollen. Es ist nicht so wie drüben in Kalifornien, wo mit San Diego eine der reichsten Städte der USA wie ein Werbeschaufenster mit blauweißroten Schleifchen direkt an der Grenze liegt. Brownsville sieht aus wie armes Mexiko mit amerikanischen Straßenschildern. Wer Hunger hat, sollte mit schwarzen Bohnen lieber kein Problem haben. Und die größte Sehenswürdigkeit ist tatsächlich der Grenzzaun. Jede Zaunslatte ist eigentlich ein Metallwinkel, sehr hoch, oben sehr spitz, aneinandergereiht zu Palisaden. Von der Seite gesehen undurchsichtig wie eine Wand, von vorne gesehen beinahe licht. Jemandem, der nicht weiß, wo er ist, könnte man es als Minimal Art verkaufen. Zumal der Zaun auch dauernd irgendwo aufhört und nach einer riesigen Lücke irgendwo anders wieder anfängt. Außerhalb des Stadtzentrums nutzen ihn die Leute, um grasende Pferde dran zu binden. Man kann oft direkt daneben mit dem Auto entlangfahren. Die Lichtreflexe dabei (die Sonne scheint nun mal von Mexiko her) haben etwas von Disko. Ja, man hat Lust, mit einem Stöckchen an den Latten lang zu knattern. Und nein, der Rio Grande, den man dahinter sieht, hält eben nicht, was der Name verspricht, der Fluss ist selbst kurz vor der Mündung so schmal, dass die sogar Spree in Berlin breit wirkt dagegen, und schon die wurde, als sie Grenzfluss war, oft genug durchschwommen. Irgendwo hier muss Pamela Taylor wohnen, eine Rentnerin, die landesweit zur Berühmtheit geworden ist, weil ihr Haus zwischen dem Fluss und dem Grenzzaun steht; sie hat irgendwann einfach eine Kühlbox rausgestellt für alle, die da nachts durch ihren Garten huschen; von Frau Taylor gibt es für jeden Getränke und einen Anruf bei der Border Patrol.

Der Plan war, noch einmal an diesem Grenzfluss entlang zu fahren, bevor er tatsächlich hinter Trumps Mauer verschwindet.

Der Plan war, in Progreso kein mexikanisches Bier trinken zu gehen, sondern in der Stadt McAllen ein Immigranten-Hilfswerk aufzusuchen.

Die „Laredo Morning Times“ berichtete von 680 Einwanderern, die bei der ersten Verhaftungswelle festgesetzt worden waren. Und der „Brownsville Herald“ schrieb, dass in der Region die Schockstarre herrsche vor der nächsten Welle. „El Nuevo Heraldo“ wusste, dass Paul Ryan, „Presidente de la Cámara de Representantes“, die Gegend besuchen wolle, um sich über die Grenzpatrouillen zu informieren. Überall: the border, la frontera, Polizeiberichte, in denen die Namen von Tätern wie Opfern auf –ez oder –o endeten, anschließend Sport und Kleinanzeigen.

Die erste Adresse, die man findet, wenn man in McAllen nach Hilfe für Einwanderer ohne die nötigen Papiere sucht, ist die von „Immigrant Hope“.

„Sí?“, sagte eine Frau aus dem Sekretariat am Telefon. „Hmm.“ Und schließlich „Okay“.

Die Baracke stand an einer Ausfallstraße nach Norden und gehörte zu einer Kirche.

Die Erwartung war, hier auf Schicksale zu treffen, auf Tränen, auf Kampfgeist, vielleicht Hillary-Clinton-Aufkleber, und, ehrlich gesagt, vor allem auf energische Frauen.

Stattdessen: Vier schwere Männer beim Lunch, Latinos in den Formen von Gringos.

„Sie sind der mit den Fragen?“, sagt Pedro Morales, 69 Jahre alt, im Hauptberuf Versicherungsmakler. „Zunächst mal habe ich eine Frage. Sie kommen von einer eher liberalen Zeitung, ja? Liberal im Sinne von ,Lasst alle rein und gebt ihnen, was immer sie wollen’?“

Die Stimmlage war Bass.

„Unsere Ansichten sind nämlich nicht so liberal, wie Sie sehen werden. Aber trotzdem wollen wir den Leuten helfen.“

Und sein Akzent klang schwer und rollend nach irgendwas am Mississippi.

„Wir kümmern uns um die, die „legal residents“ werden wollen.“

Ruben Martínez, Pastor der Kirche, sagte: „Wir konzentrieren uns auf die mit den begrenzten Mitteln.“

Morales sagte: „Wir kümmern uns um die in Not. Wir sind ein preisgünstiges und staatlich zertifiziertes Hilfszentrum. Wir nehmen nur 75 Dollar für den ganzen Einbürgerungsprozess, andere nehmen Tausende. Carlos hier… seine Frau ist aus Monterrey, für die haben wir gerade das Verfahren begonnen.“

„Haufen Papierkram“, sagte der Mann, der Carlos hieß. Er wollte seinen Nachnamen nicht nennen.

„Wir mussten in einem vorgeschriebenen Lehrgang das Einwanderungsrecht studieren“, sagte Morales. „Aber der Grund warum wir das tun ist… Ruben wird Ihnen den eigentlichen Grund sagen.“

Und Pastor Martínez sagte: „Wir wollen vor allem das Wort Christi verbreiten. Wir bieten den Leuten: die Liebe Jesu sowie zum Beispiel Englischkurse; man muss ja Englisch können, um Amerikaner zu werden.“

„Wir wollen den Leuten helfen, alles richtig zu machen“, sagte Morales. „Vom Eröffnen eines Kontos bis zur Einbürgerung, und wir machen das, bis Jesus uns heimruft.“

Sie gehörten zu einer Evangelikalen Freikirche und machten das jetzt seit einem Jahr. Bisher seien „noch nicht soviele“ Leute zu ihnen gekommen, sagte Martínez. Er schob es weniger auf den Katholizismus der meisten Mexikaner als auf ihre Angst. Oder auf schlechte Erfahrungen mit Abzockern. Immerhin ging gerade eine SMS bei ihm ein, eine Frau fragte, an wen sie sich wenden, wem sie vertrauen könne. „Sehen Sie?“, sagte er stolz.

Dann wieder der Bollerbass von Morales: „Wenn Trump Erfolg hat, mit dem, was er vorhat, dann werden wir sehr busy sein.“ Er unterstütze das.

Wirkungspause.

Zufriedenes Das-hätten-Sie-wohl-nicht-gedacht-Lachen.

„Sie sind hier an einen ausgesprochenen Pro-Trump-Tisch geraten“, sagte Morales.

„Die Gegend ist allerdings Anti-Trump“, sagte der Pastor. „Das Rio-Grande Valley wählt demokratisch.“

Morales wieder: „Aber wir sehen ja die Morde auf beiden Seiten der Grenze. Ich begrüße die Mauer. Alright? Die Mauer ist gegen die Kartelle. Gegen die Drogenschmuggler. Für mich jedenfalls. Ich habe aber gar nicht mal wegen der Mauer für Trump gestimmt.“

Die anderen Männer schieben Cupcakes rüber und einen Kanister mit Eistee, dazu vier Päckchen Zucker.

„Meine Aufmerksamkeit hatte Trump, als er in den Vorwahlen nicht versprechen wollte, einen anderen Kandidaten zu unterstützen“, sagte Morales. Da habe er gedacht: Endlich ist mal einer ehrlich. „Und meine Stimme hat er gekriegt, als er sich gegen Abtreibungen ausgesprochen hat. Ich bin auch nicht für das Töten von Babies.“

Es wäre fein gewesen, jetzt einen von den Experten hier zu haben, die einem immer erklären, dass von Einwanderern automatisch die Linke profitiert.

Die vier Männer waren sich sicher, dass Trump nur Illegale mit Eintrag ins Kriminalitätsregister ausweisen werde. Oder alle Illegalen, und dann dürften die ohne Eintrag legal wieder rein. Der Mann, der Carlos genannt wurde, gab zu Bedenken, dass man allerdings schnell so einen Eintrag kriege. Er habe einen Freund, der bei der Einreise angegeben hatte, er habe keine Verwandten in den Staaten, das stimmte nicht ganz, und nun dürfe er für die nächsten zehn Jahre nicht mehr rein. Andererseits: So sei das nun mal, „wenn du die Regierung anlügst.“

Morales fand: „Follow the rules! Ich komme doch auch da her. Mein Großvater war aus Mexiko. Ich bin dritte Generation Hispanic, mein Dad ist in Texas geboren, ich in Arkansas. Ich bin überhaupt nicht gegen Einwanderung, aber sie muss korrekt erfolgen.“

Der Pastor sagte: „Wissen Sie, eine Menge Leute kommen nach Amerika, weil sie vor der Gesetzlosigkeit in Mittelamerika fliehen. Wenn wir darüber hier selber zu einem Ort der Gesetzlosigkeit werden, können wir irgendwann niemandem mehr helfen.“

Und der Mann mit dem Vollbart und der Truckermütze, der bisher geschwiegen hatte, sagte: „Ich habe am Grenzübergang gearbeitet. Ich habe ziemlich viele illegal aliens hochgenommen. Wir sind für die Einwanderung von hart arbeitenden Leuten, aber wenn die kriminell werden oder uns auf der Tasche liegen, dann bitte nicht.“

Der Grenzer hielt seinen Namen geheim und sah die Sache illusionslos: Keine Mauer der Welt könne hoch genug sein, um die Leute abzuhalten; Armut da drüben, das gelobte Land hier und dazwischen die Drogenkartelle, die jedem das Leben zur Hölle machen, Schutzgelder erpressen, die Leute in Sweatshops versklaven, die sie rüberbringen und die Frauen an die Straße stellen, auf beiden Seiten der Grenze. Ob man die vielen Gebrauchtwagenhändler auf der 21st Street gesehen habe? Alles Geldwäsche-Läden! Und er erzählte von den 13jährigen mit den Taschen voller Dollarscheinen, den River Rats, den Flußratten: Geldkuriere, die zu jung sind für den Jugendknast und von den Kartellen mit Handys und Klamotten belohnt würden.

„Meine Großeltern kamen auch aus Mexiko, und ich habe gesehen wie die kämpfen mussten“, sagte der Grenzer. „Mein Großvater war Hirte. Nicht wie unser Pastor hier, sondern wirklich, mit Tieren.“

Der Pastor sagte: „Aber nochmal: Wir wollen den Menschen helfen. Wir lieben die Menschen, die Immigranten.“

Morales sagte: „Wenn ich einen Illegalen sehe, der in Not ist, geb ich dem zu Essen.“

Der Pastor: „Wo wir doch Christus repräsentieren.“

Morales: „Aber ich will, dass er aufhört, illegal zu sein. Wir stammen doch alle von Mexikanern ab, und die meisten von uns haben auf den Feldern gearbeitet.“

Der Grenzer nickte mit Bitterkeit: „Ich habe auf den Feldern gearbeitet bis ich 18 war.“

Der Pastor sagte: „Ich habe mit sechs anfangen müssen. Mit sechs!“

Und Morales: „Ich war fünf, als sie mich in die Baumwollfelder geschickt haben, und ich habe es gehasst.

Der Pastor: „Die Tomate!“

Morales: „Der grüne Salat!“

Gemüsenamen wurden nun über den Tisch gerufen wie überstandene Schlachten. Und das war leider kein bisschen komisch. Das war eher so, dass einem beim nächsten Mal vor dem Grünzeug im Supermarkt Kinder mit spanischen Namen im Kopf herumspuken würden.

Die Männer mit den spanischen Namen erzählten dann noch lange von ihren gelungenen Karrieren und den geratenen Kindern, und wie hart alles war und wie gut es jetzt ist. Und dass das am Ende doch wohl bitte der Sinn des Einwanderns nach Amerika sei: Amerikaner zu werden. Und am Ende wünschten sie zum Abschied eine schöne Fahrt an ihrer schönen Grenze entlang, wo es tatsächlich auch an jedem einzelnen Check Point der Grenztruppen Männer mit spanischen Namen sein würden, die kritisch in die Autos schauten. Vorher sagten sie noch, dass hier unten eben alles ein bisschen anders sei, als man sich das in Städten wie New York so vorstelle.

Aber das hatte Skippy Brown ja auch schon gesagt.

(c) PETER RICHTER

Eine Version dieses Textes erschien zuerst am 24.2.17 unter dem Titel „Aliens“ auf der Seite Drei der Süddeutschen Zeitung.