Pentecostal Mosh

Über: christlichen Metalcore - Ringelreigen - das Schockeln

Für die meisten New Yorker war dieses Pfingstwochenende nicht das Pfingstwochenende, sondern das Memorial Day Weekend. Und für die meisten von denen wiederum lag die Hauptbedeutung dieses maximal ökumenischen Feiertags nicht einmal in der Ehrung amerikanischer Kriegsveteranen, sondern im Angrillen und Sonnenbaden, in monströsen Staus und verdoppelten Übernachtungspreisen auf Long Island; Memorial Day ist der Beginn der Sommersaison. Das heißt aber nicht, dass nicht auch angemessen der Ausschüttung des heiligen Geistes gedacht worden wäre in den vielen verschiedenen Kirchen von New York. Die Anzahl der Konfessionen, Abspaltungen, Untergruppen und Sekten ist ja kaum zu überschauen. Und so kam es, dass am Freitagabend auch ein paar Hundert pfingstlich Gestimmte vor der Bühne vom Irving Plaza standen, dem alten Rock’n’Roll-Palast beim Union Square, denn siehe: „Haste The Day“ waren wieder auferstanden nach Jahren der Trennung.

Continue reading

Renzo Pianos neues Whitney Museum

Über: Unsicherheit - Wände - Dünnhaar

Im Frühjahr 1986 kokste sich der mit der Darstellung eines masturbierenden Vorstadtjugendlichen bekannt gewordene Maler Eric Fischl durch die Vernissage seiner eigenen Retrospektive im Whitney Museum of American Art, stieg anschließend ins Auto und fuhr von Uptown, wo die Museen saßen, in Richtung Downtown, wo damals New Yorks Künstler zu Hause waren. Er war gerade 38, eine vom wichtigsten Museum für amerikanische Kunst geadelte Berühmtheit, die der „Vanity Fair“ sechs Seiten wert war, und er ahnte, so schreibt er in seiner Autobiografie „Bad Boy“, dass soeben ein epischer Fall ins Nichts begonnen hatte: Hinter dem Columbus Circle kam es zum Verkehrsduell mit einem anderen New Yorker Brüllaffen, irgendeinem Geldmenschen, der den berauschten Künstler exakt auf dem Höhepunkt seiner Karriere wissen ließ, er sei offensichtlich ein Niemand, „a big fuckin’ nobody.“ Continue reading

„Latin America in Construction“ im MoMA

Über: Beton - Porosität - Entwicklung

Wie lange ist das jetzt her, dass der Künstler Alfredo Jaar den New Yorkern mit einer Leuchtreklame auf dem Time Square mitgeteilt hat, dies hier sei nicht Amerika – und dazu leuchteten erst die Umrisse der USA auf und anschließend, zur Richtigstellung, der ganze Rest des Doppelkontinents? Fast dreißig Jahre. 1987 war das. Geholfen hat es aber wenig. Immer wieder wachsen in den Vereinigten Staaten ganze Generationen nach, die, nennen wir es mal: irritiert darauf reagieren, dass es da draußen ganze Völker gibt, die ebenfalls den Anspruch erheben, Amerikaner zu sein und zwar durchaus auch im Sinne von: Neue Welt, Lobor einer freieren Zukunft. Continue reading

Flake: „Tastenficker“

Über: Keyboarder - Feeling B/Rammstein - Mülltonnen

Und dann wird der Junge vom Auto überfahren. Er trottet, wir befinden uns in den Siebzigerjahren, auf einer Landstraße seinen Eltern hinterher, hört einen Motor, erinnert sich, dass man außerhalb von Ortschaften zur Sicherheit links gehen soll, will daher noch die Seite wechseln.

Dann lag ich auf der Straße und hatte den Blinker im Mund. Ich habe das mit dem Blinker im Mund gern erzählt, und dass er noch geblinkt hat, aber das stimmt nicht, denn erstens war kein Kabel mehr dran und zweitens wollte der Fahrer gar nicht abbiegen.“

Nicht viele erzählen so gern von ihren Missgeschicken. Nur wenige haben allerdings auch so viele zu bieten. Continue reading

On Kawara im Guggenheim

Über: seine Postkarten - seine Telegramme - ihre jeweiligen Empfänger

Erstaunlich, wie interessant die Retrospektive für On Kawara im New Yorker Guggenheim Museum ist. Das war nicht unbedingt zu erwarten, wenn einer sein Leben lang nichts als das aktuelle Datum auf Leinwände malt oder Telegramme mit der Mitteilung versendet, dass er am Leben sei, oder eine Million Jahre in Bücher einträgt. Zu erwarten gewesen wäre ein ehrfurchtgebietendes Monument, die eisige Erhabenheit eines Werkes, das dem Dasein in der Welt, dem Vergehen der Zeit und damit in letzter Konsequenz natürlich dem Warten auf den Tod gewidmet war. On Kawara hat seine Tage gezählt wie andere Leute Schäfchen vor dem Einschlafen. Continue reading