Wer sich im Internet über Rafael Horzon erkundigen will, erfährt auf Wikipedia, dass er ein „deutscher Künstler, Unternehmer, Schriftsteller und Designer“ sei. Dagegen geht Horzon nun juristisch vor. Er möchte der Wikimedia Foundation Inc. untersagen lassen, ihn auf ihrer deutschen Website weiterhin als Künstler zu bezeichnen. Seine Anwältin sieht hier einen Eingriff in Horzons Persönlichkeitsrechte. Nachdem die Frist, die sie zur Unterlassung gestellt hatte, am vergangenen Freitag abgelaufen ist, will Horzon nun gerichtliche Schritte einleiten. Continue reading
Mitteldeutsch
Mit dem Beginn des Mittagsläutens hatte sich der Trauerzug in Bewegung gesetzt, und als die Glocke in der Dorfkirche zum Ende kam, war die Urne bereits, mit Blumen bestreut, einen Meter unter der Erde. Denn die Friedhöfe sind überschaubar im Erzgebirge, da ist der Weg von der Kapelle zum Grab nicht weit. Dafür geht der Blick über flache Mauern weit ins Land und ist insgesamt von großer Tröstlichkeit, jedenfalls für die Hinterbliebenen. Zumal die Verstorbene, betagt wie sie war, nirgendwo anders die letzte Ruhe finden wollte und das Essen im Gasthof immer noch so gut und reichlich ist. Bei Soljanka, Forellen, Rouladen und Schnitzeln, letztere zum Teil mit Würzfleisch überbacken, wird nacher, wie es sich gehört, der Dahingeschiedenen gedacht und die Arbeit des Bestatters gewürdigt, der allerdings auch eine beeindruckende Erscheinung war mit seinem Zylinder, seiner goldenen Uhrenkette und seinem goldenen Gebiss. Als zum Nachtisch die Eisbecher mit Sahne aufgetragen werden, kreist das Gespräch längst um verjährte Affären und das Maß an Toleranz, das den Erzgebirglern seit jeher abverlangt worden sei, vor allem den Frauen: Wenn man bedenke, dass früher die Bauern hier nicht nur mit ihren Bäuerinnen Kinder hatten, sondern oft auch mit den Mägden. „Aber das war kein Problem, die wurden einfach mit untergebuttert.“ Continue reading
Heute wieder Lebensreform
Man muss nicht zu der Sorte Mensch gehören, die sich in ihrer Freizeit ins Universum einschwingt, um sicher sagen zu können, dass es zur Zeit nirgendwo darin einen Ort geben dürfte, der weniger nach spirituellen Sinnsuchern, Aussteigern und Kommunenleben aussieht als Ascona am Lago Maggiore in der Schweiz. Die Atmosphäre an der Uferpromenade wird vielmehr bis heute völlig dem gleichnamigen Mittelklasse-Opel aus den Siebzigern gerecht, und die Häuser an den Hängen sehen immer noch aus wie auf dem berühmten Plakat von Klaus Staeck („Deutsche Arbeiter, die SPD will Euch Eure Villen im Tessin wegnehmen.“) Oben glänzt der Schnee auf den Alpen wie die Sahne auf der Torte, unten gluckert schwarz der See, und wenn man zwischendrin Angela Merkel beim Urlauben hier träfe, würde es einen nur deshalb wundern, weil es schon deutlich teurer ist als in Südtirol; allerdings: Adenauer war auch schon da. Continue reading
Raffaels mit Reifen
Giugiaro, Gandini, Fioravanti: mit diesen Namen hatte ein heranwachsender Mensch in den Siebzigern und Achtzigern im Prinzip fast schon alle Trümpfe in der Hand, die das Autokarten-Quartett hergab. Er wusste nur möglicherweise nichts davon, weil die Namen der Autos, die diese Männer entworfen hatten, noch viel klangvoller waren. Sie lauteten De Lorean DMC-12, Lamborghini Miura oder Ferrari 308. Dass letzterer Tom Selleck in „Magnum“ als Dienstwagen diente, während der De Lorean in „Zurück in die Zukunft“ sogar sogar Raum-Zeit-Kontinuum überwinden konnte, machte diese Wagen nur noch phantastischer. Continue reading
Minsk in Potsdam
Mehr als zwei Stunden hatte die letzte Stadtverordnetenversammlung in Potsdam schon gedauert, es war gerade um die Wohnungsbauentwicklung in der stark wachsenden Nachbarstadt von Berlin gegangen, als Christian Seidel ans Mikrofon trat und etwas Bemerkenswertes sagte.
Seidel, muss man dazu wissen, hat nach der Wende viele Jahre lang für die SPD den mächtigen Bauausschuss geleitet, er wurde gelegentlich als Stadtbaudirektor Potsdams bezeichnet. Und obwohl Seidel seine Ämter inzwischen niedergelegt hat, erbat er sich ein Rederecht, bevor die Stadtverordneten über Tagesordnungspunkt 6.10 debattieren würden. Er begann mit dem Vorwurf des „Abrisswahns“, der in Potsdam grassiere. Den wies er zurück. Continue reading